Nichts für Zwischendurch – Warum wir uns Zeit für Kurzgeschichten nehmen sollten

Nichts für Zwischendurch – Warum wir uns Zeit für Kurzgeschichten nehmen sollten

Kurzgeschichten haben es nicht leicht bei den Leser*innen. Allzu oft ziehen sie den Roman vor. Doch warum eigentlich? Scheinen Kurzgeschichten doch die Antwort auf den hektischen Alltag, die wenige Zeit und das Lesen für zwischendurch zu sein.

Kurzgeschichten sind kein Literatursnack

Die Textlänge steckt den Kurzgeschichten bereits im Namen: Sie sind kurz. Was auf den ersten Blick schnell zu lesen scheint, ist im gleichen Atemzug ihre größte Herausforderung: Komprimiert auf wenigen Seiten muss der Leser aufmerksam sein.

Man sagt, die Kurzgeschichte ist für den Leser und den Autor gleichermaßen anstrengend. Die Texte sind atmosphärisch dicht geschrieben und enthalten Leerstellen. Für den Leser bedeutet es, dass er mehr zwischen den Zeilen lesen muss.

Wenn Leser*innen keine Kurzgeschichten mögen, dann antworten sie, dass es ihnen schwer fällt, sich in der kurzen Zeit auf die Geschichte einzulassen. Sind sie dann eingetaucht, ist die Geschichte schon zu Ende. Sie müssen die Figuren ziehen lassen und sich mit einem oftmals offenen Ende zufrieden geben.

Kurzgeschichten unterwegs lesen

Als Antwort auf unsere gestiegene Smartphone-Nutzung gehen manche Verlage neue Wege. Voland & Quist zum Beispiel mit der App A Story A Day Die Idee: Jeden Tag gibt es eine neue Kurzgeschichte aufs Smartphone – bezahlt wird per Monats-Abo.

Inzwischen steht auf der Verlagsseite, dass sie die App nach vier Jahren einstellen mussten. Das Interesse war nicht so groß wie erhofft und die Kurzgeschichten gingen ihnen aus. Im Google Playstore kommentierte eine Leserin, dass sie keine Zeit mehr dafür hätte. Keine Zeit zu haben – das ist bezeichnend für unsere Zeit und macht es der Kurzgeschichte schwer.

Natürlich es gibt weitere (digitale) Angebote für die kurzen Lesemomente: Die Reihe Textlicht von Edition Atelier oder Texte aus dem Verlag mikrotext. Doch so sehr die Idee auch einleuchtet, Kurzgeschichten zwischendurch, unterwegs in der Straßenbahn oder im Wartezimmer zu lesen, so wenig scheint sie in den Alltag zu passen. Denn mal ehrlich: Zücken wir während Wartezeiten nicht eher das Smartphone für Messenger, Mails und Musik?

Zeit für Kurzgeschichten nehmen

Unser Zeit- und Weltempfinden entscheidet darüber, ob wir gerade lieber einen Roman oder Kurzgeschichten lesen. So hat es bereits Marcel Reich-Ranicki in der FAZ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.02.2007, Nr. 6 / Seite 28) beschrieben:

Je schneller und hastiger unser Alltag, desto stärker unser Bedürfnis nach Ruhe, je spürbarer die Unsicherheit, desto heftiger die Sehnsucht nach Entspannung und Entrückung, nach Schutz, nach, altmodisch ausgedrückt, Geborgenheit. Dies jedoch beeinträchtigt im selben Maße die Erfolgschancen der Kurzgeschichte, wie es diejenigen des Romans begünstigt.

Sein Fazit lautet:

Wer es eilig hat, greife zu Romanen. Für Kurzgeschichten muss man Zeit haben.

Serielles Erzählen ist im Trend

Während wir immer weniger Zeit zum Lesen haben, sind mehrbändige Fantasyromane beliebter denn je. Was wie ein Widerspruch klingt, lässt sich mit dem Bedürfnis nach Rückzug erklären. In Romanen können es sich die Leser*innen bequem machen, den Fortsetzungen entgegen fiebern, die Figuren wachsen sehen und immer wieder in die vertraute Szenerie zurückkehren. Es ist das gleiche Bedürfnis, das die Serien der Video-Streaming-Anbieter bedienen. Was kann die Kurzgeschichte dagegen halten?

Die Kurzgeschichte belohnt den aufmerksamen Leser

Obwohl sie so kurz ist, lässt sich die Kurzgeschichte nicht weglesen wie einen Roman. Zwischen den Geschichten in einem Band brauchen wir einen Moment zum Durchatmen. Die Kurzgeschichte bietet im Tausch gegen unsere Zeit: Ein langsames Lesen, kein konsumieren. Ein aufmerksames Lesen und keine durchgelesenen Nächte oder verpasste Stationen in der Straßenbahn. Ihr Platz ist der Nachttisch, auf dem sie lange herum liegt, und nicht die Tasche für unterwegs.

Die Kurzgeschichte belohnt uns mit einem Moment, der in uns nachhallt. Ein Gedanke, der zum Weiterdenken anregt, nachdem wir die Geschichte zu Ende gelesen haben. Sie belohnt uns mit neuen Autoren, die wir in einer Anthologie entdecken oder mit dem Romanautoren, den wir in seinen Kurzgeschichten von einer anderen Seite lesen.

Was ist mir dir: Liest du gerne Kurzgeschichten?

Zu welchen Literaturformaten greifst du, wenn du wenig Zeit zum Lesen hast?

So erstellst du ein Storyboard mit Pinterest für dein Schreibprojekt

So erstellst du ein Storyboard mit Pinterest für dein Schreibprojekt

Mit seiner gigantischen Auswahl an Bildern und Pinnwänden vereint Pinterest alle Vorzüge, die es unter Autor*innen zu einem beliebten Tool für Storyboards macht.

Im zweiten und letzten Teil meiner Artikelserie findest du eine Anleitung, wie du ein Storyboard mit Pinterest erstellst und mit welchen Tipps und Tricks du passendes Bildmaterial findest.


Was ein Storyboard ist und in welchen Schreibphasen es dich unterstützt, liest du in meinem ersten Artikel der Serie: Das Storyboard als Planungstool für dein Schreibprojekt.


So funktioniert Pinterest

Pinterest ist eine visuelle Suchmaschine, in der es vor Bildern, Ideen und Inspiration nur so wimmelt. Sie funktioniert nach dem Pinnwand-Prinzip: Ein Nutzer erstellt eigene virtuelle Pinnwände und pinnt dort alles an, was er zu einem Thema oder Projekt sammeln möchte.

Pins sind Bilder hinter denen Texte und Links stehen; du findest sie innerhalb der Pinterest-Suche. Es gibt außerdem die Möglichkeit, eigene Pins zu erstellen, indem du Bilder bei Pinterest direkt hochlädst. Oder du bringst fremden Content zu Pinterest, indem du Artikel, Webseiten oder Bilder auf Pinterest teilst beziehungsweise pinnst.

Zu den klassischen Pinterest-Themen zählen Rezepte, DIY-Anleitungen, Interior und Mode. Inzwischen sind viele weitere und auch Nischenthemen hinzugekommen. Es gibt also Bildmaterial jeglicher Art für dein Storyboard.

In fünf Schritten zum Storyboard mit Pinterest

Hast du bereits einen Account bei Pinterest, kannst du sofort loslegen.

1. Pinnwand erstellen

Auf deinem Profil im Bereich Pinnwände erstellst du mit Klick auf “Pinnwand erstellen” ein Board. Gib dem Projekt einen Titel und stelle es auf geheim, wenn du nicht willst, dass das Board für andere sichtbar ist, solange du noch daran arbeitest.

2. Pins suchen und pinnen

Nun beginnt der schöne Teil: suchen und pinnen. Gib einen Suchbegriff in das Feld ein: das können Ortsnamen, Jahreszeiten, Menschen, Tiere, bestimmte Kleidungsstücke, Gegenstände, Stimmungsbilder, Szenen und Zitate sein.

Falls die Ergebnisse nicht ganz deinen Vorstellungen entsprechen, schau dir die Adjektive und Begriffe an, die oberhalb der Suchergebnissen erscheinen. Mit diesen kannst du deine Suche weiter eingrenzen.

Je nach Filter durchsucht Pinterest einzelne Pins, doch du kannst die Suche auf Pinnwände ausweiten. So gelangst du zu den Boards anderer Nutzer und vielleicht wirst du in deren Sammlung fündig – denn Pinterest lebt vom Pinnen und Repinnen.

3. Pins suchen mit der Mehr davon-Funktion

Falls diese Bilder deiner Vorstellung nahe kommen, sie aber noch nicht treffen, dann klick auf eines der Bilder und sieh dir die Vorschläge unterhalb unter Mehr davon an. Klick auf einen der Vorschläge und schau wieder unter Mehr davon. So tauchst du immer tiefer ein in eine Szenerie oder bestimmte Stimmung und näherst dich dem passenden Bild an.

Hast du passende Bilder gefunden, pinnst du sie, indem du auf den roten Merken-Button klickst und deine Pinnwand auswählst.

4. Echtzeit-Suche mit Pinterest Lens

Du suchst gerne unterwegs nach Inspiration für deine Geschichten? Auch dafür hat Pinterest eine Lösung. Einfach in der Pinterest-App auf dem Smartphone auf das Kamerasymbol in der Suchleiste klicken und einen umliegenden Gegenstand oder potenziellen Schauplatz für deine Geschichte fotografieren. Und schon schlägt Pinterest dir auf dieser Basis ähnliche Pins vor.

5. Pins sortieren

Ist dein Board gut mit Bildern gefüllt, kannst du nun per Drag-and-Drop die Reihenfolge der Pins verändern und sie zum Beispiel chronologisch sortieren. Du kannst außerdem über die Bearbeitungsfunktion die Beschreibung der Pins verändern und an deine Geschichte anpassen, z. B. Namen der Figuren und Orte eintragen, Dialoge oder einzelne Sätze aus deiner Geschichte.

Tipps für die Bildersuche von Figuren

Das schwierigste an der Bildersuche sind die Figuren. Oft finden sich bei Pinterest nur Einzelbilder von einer Figur, dabei benötigt ein Storyboard mehrere, um die Figur im Laufe der Geschichte darzustellen. Weichst du auf ähnlich aussehende Menschen aus, sieht es aus, als ob die Geschichte von vielen verschiedenen Figuren handelt.

Hierzu habe ich einen Tipp bei Writing One Word At A Time im Video How to create a storyboard on Pinterest gefunden: Suche nach Schauspielern, Models, Sportlern oder anderen Menschen des öffentlichen Lebens, die den Figuren deiner Geschichte ähneln. So findest du genügend Material von derselben Figur in unterschiedlichen Szenen und Posen.

Wenn du noch gar nicht so genau weißt, wie deine Figuren aussehen, starte mit dem englischen Suchbegriff Character Inspiration in Pins und Pinnwänden – so findest du Porträt-Fotografien und -Zeichnungen.

Her mit der Inspiration: Storyboards auf Pinterest

Probiere es doch einmal anders herum und nutze fremde Storyboards als Schreibübung und entwickle aus den Bildern einen Text.

Hier sind Pinnwände mit Storyboards anderer Schriftsteller, von denen du dich inspirieren lassen kannst. Denn das Gute ist: Aus der gleichen Grundidee erschafft jeder etwas eigenes und in den gleichen Bildern sieht jeder etwas anderes.

Storyboard Chief & King

Storyboard_Cecilia

Haben die Boards dein Kopfkino zum Laufen gebracht? Hast du bereits eigene Storyboards mit Pinterest angelegt? Dann verlink sie gerne in den Kommentaren!

PS: Bilder, Szenen und Storyboards als Schreibanregung findest du auf meinen Pinterest-Boards.

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So erstellst du mit Pinterest ein Storyboard für dein Schreibprojekt

Das Storyboard als Planungstool für dein Schreibprojekt

Das Storyboard als Planungstool für dein Schreibprojekt

Auf die eine oder andere Weise tragen wir immer Bilder in unseren Köpfen herum. Beim Erinnern, Tagträumen, beim Lesen und Schreiben. Gehörst du zu den visuellen Schreibern, lohnt es sich, Bildersammlungen anzulegen und für deine Schreibprojekte ein Storyboard.

Was ein Storyboard ist und wie es dir beim Schreiben hilft, liest du hier.


Dies ist der Auftakt zu einer zweiteiligen Artikelserie.

In Teil zwei verrate ich, wie du mit Pinterest ein Storyboard erstellst.


Nutze die Kraft der Bilder

Ist ein Text anschaulich geschrieben, sorgt unsere Vorstellungskraft für das Kopfkino während wir lesen. Vielleicht geht es dir bereits beim Schreiben so: Du denkst über deinen Text nach, suchst Ideen und dabei spielt sich ein Film oder eine kurze Szene in deinem Kopf ab noch bevor die ersten Worte geschrieben sind.

Um genau diesen Moment geht es: Die Bilder, die dich ins Schreiben bringen und die Worte fließen lassen. Damit du nicht lange nach ihm suchen musst, hilft dir ein Storyboard.

Was ist ein Storyboard?

Das Storyboard ist ein visuelles Konzept für einen Film, in dem die Abfolge aller geplanten Szenen und Kameraeinstellungen dargestellt ist, noch bevor er in Produktion geht.

Es erinnert an ein Comic und enthält mitunter zusätzliche Informationen zur Dauer der Szene, zu den Charakteren und Schauplätzen. Das Drehbuch mit seinen Dialogen liegt zu diesem Zeitpunkt bereits vor – das Storyboard ist also eine grafische Version davon.

Beispiel für ein Storyboard: 

Foto: Cortos D.C. / flickr.com

Das Storyboard für verschiedene Phasen im Schreibprozess

Was für die Filmproduktion gilt, lässt sich auf das Schreiben anwenden: Um zum fertigen Text zu kommen, beginnst du mit dem Storyboard. Es unterstützt dich während der unterschiedlichen Phasen im Schreibprozess, wie zum Beispiel:

1. Ideen finden und weiterentwickeln

In dieser Phase kombinierst du Bilder von Figuren, Orten, Gegenständen, Zitaten, Dialogfetzen und Szenen. Die Reihenfolgen kannst du dabei verschieben, Ideen miteinander ausprobieren und die Handlung mehr und mehr verdichten.

2. Plotten und Planen

Das Storyboard ist ein prima Tool fürs Plotten. Entweder du entwickelst beim Storyboarden den Plot oder wandelst einen vorliegenden Plot in ein Storyboard um. So visualisierst du deine Schreibidee, behältst den Überblick über die Storyline, erkennst frühzeitig Logikfehler und holprige Übergänge.

3. Leitfaden beim Schreiben

Hast du ein ausgearbeitetes Storyboard vor dir liegen, kannst du dich beim Schreiben daran orientieren. Du weißt, welche Szenen aufeinander folgen und kannst das Schreiben des Rohtextes auf verschiedene Schreibzeiten verteilen.

Ausblick: Ein Storyboard erstellen

Wie und mit welchem Hilfsmittel du ein Storyboard für dein Schreibprojekt erstellst, erfährst du in Teil zwei der Serie. So viel sei schon einmal gesagt: Ein Zeichentalent brauchst du dafür nicht zu sein – Bilder zu sammeln und sortieren genügt bereits.

Zum Teil II der Serie:
So erstellst du ein Storyboard mit Pinterest für dein Schreibprojekt.

Literarisches Prag – Auf den Spuren von Franz Kafka

Literarisches Prag – Auf den Spuren von Franz Kafka

Prag – Praha. Da bin ich also in der Stadt an der Moldau, in der Franz Kafka geschrieben und die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat. In einem Zitat von Eichendorff heißt es: „Wer einen Dichter recht verstehen will, muß seine Heimat kennen“. Und so habe ich mich aufgemacht, Prag zu entdecken und eine literarische Annäherung zu schreiben an diese Stadt und ihren bekanntesten Schriftsteller.

Ein Spaziergang durch die Prager Altstadt

Meine erste Begegnung mit Prag sind Straßenschilder mit verschluckten Vokalen: Hrad, Mlýný, Hřbitov. Auf die frühere Zweisprachigkeit weist nichts mehr hin. Alles ist auf tschechisch ausgeschildert, selbst die Sehenswürdigkeiten für die vielen Touristen. Ich starte am Platz der Republik. Touristen schwemmen die Straße vom Altstädter Ring bis zur Karlsbrücke. Es ist ein Stimmengewirr aus spanisch, französisch, englisch, chinesisch und tschechisch. Schnell wird mir klar, dass ich Prag in den nächsten Tagen nicht für mich alleine haben werde.

Kafkas Prag im frühen 20. Jahrhundert

Franz Kafka (1883 – 1924) wuchs in einem Prag auf, in dem Tschechen, Juden und Deutsche zusammen lebten, wobei die Deutschen eine Minderheit darstellten. Als Jude gehörte er damit einer doppelten Minderheit an. Auch wenn das meiste posthum und gegen seinen Willen an die Öffentlichkeit gelangte (sein Freund und Schriftsteller Max Brod veröffentlichte seinen Nachlass), gehört das Werk Kafkas zum Kanon der Weltliteratur. Bis heute werden seine Erzählungen und insbesondere Die Verwandlung in den Schulen gelesen.

Das heutige Haus Minutá in der Prager Altstadt, in dem Familie Kafka lebte.
Das heutige Haus Minutá in der Prager Altstadt, in dem Familie Kafka lebte.

Innerhalb Prags stehen sie fast alle noch und sind fußläufig zu erreichen: Das (wiedererrichtete) Geburtshaus am Franz-Kafka-Platz, die Wohn- und Arbeitshäuser. Da wären die ehemaligen Geschäftsräume von Kafkas Vater im Kinský-Palais am Altstädter Ring, Kafkas Gymnasium auf der Rückseite und nicht weit davon entfernt das Haus Minutá, in dem Kafka mit seiner Familie lebte. Eines seiner Arbeitszimmer befand sich im Goldenen Gäßchen, auch bekannt als Alchemistengasse mit der Nr. 22 und lässt sich auf dem Hradschin besuchen.

Kafka als verbotener Autor

Dass sich seine Spuren in Prag so gut nachverfolgen lassen und sichtbar sind, ist nicht selbstverständlich. Denn es gab ein ”politisch verordnete[s] Totschweigen”, wie Wolfgang Dömling es bezeichnet. Kafkas Werk wurde während der Zeit des Nationalsozialismus und später im kommunistischen Tschechien verboten. Mit der Rehabilitierung 1963 auf der so genannten Kafka-Konferenz öffnete sich Prag allmählich für den Schriftsteller. Sein Werk ist nun vollständig ins Tschechische übersetzt worden und die Franz-Kafka-Gesellschaft widmet sich seiner Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Spurensuche im Franz-Kafka-Museum

Was wäre Prag ohne Kafka? Oder anders gefragt: Was wäre Kafka ohne Prag? Dieser Frage widmet sich die Dauerausstellung Die Stadt von K.: Franz Kafka und Prag. Auf der Kleinseite, nahe der Moldau gelegen, befindet sich das Franz-Kafka-Museum. Es wurde 2005 gegründet und als Ausstellungsraum dient der Dachboden einer Ziegelei.

Eingangsbereich Franz-Kafka-Museum in Prag
Der Eingangsbereich des Franz-Kafka-Museums

Im Museum ist es dunkel. Das Licht ist aus und lediglich die Tische und Glaskästen werden angestrahlt. Zwischen den Ausstellungsstücken ist das Gebälk des Dachbodens sichtbar. Es herrscht eine düstere, beklemmende Atmosphäre, die gleichzeitig das Gefühl weckt, hier Schätze heben zu können. Zitate zieren die Wände, der Stammbaum und die Wohnorte in Prag werden nachgezeichnet und hinter Glas liegen Kafkas Briefe und Korrespondenz mit Behörden sowie Erstausgaben seiner Bücher. Die Rezeption seines Werks ist ebenso Thema wie Kafkas Beziehungen und Verlobungen, die Bürokratie und seine Erwerbsarbeit bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt.

Kafkas Leben und Literatur als Rätsel

Die Ausstellung wirft Schlaglichter auf Kafkas Leben. Ein Leben für das geschriebene Wort und die Literatur, das ihn, so suggeriert es die Ausstellung, letztendlich auch isoliert hat. Prag und Kafka. Eine Stadt, von der er nie fortkam und er, der sich immer wieder fürs Schreiben entschieden hat – und sich zwischen schriftstellerischem Schaffen und seinem Brotberuf zerrieben hat:

Mein Posten ist mir unerträglich, weil er meinem einzigen Verlangen und meinem einzigen Beruf, das ist der Literatur, widerspricht. Da ich nichts anderes bin als Literatur und nichts anderes sein kann und will, so kann mich mein Posten niemals zu sich reißen, wohl aber kann er mich gänzlich zerrütten.

Franz Kafka, Tagebücher 1910 – 1923

Vieles bleibt rätselhaft. Im Museum begegnet mir mehrmals der Begriff enigma, das Rätsel. Und vielleicht passen hierzu Willy Haas’ Worte über Kafka am besten:

Ich kann es mir nicht vorstellen, wie irgendein Mensch ihn überhaupt verstehen kann, der nicht in Prag und nicht um 1890 und 1880 geboren ist.

Willy Haas, Begründer der Zeitschrift „Die literarische Welt“

Mit ihrer geheimnisvollen Atmosphäre samt zugehörigem Soundtrack macht die Ausstellung vor allem eins greifbar: das Kafkaeske.

Prag als touristische Weltstadt

Zurück in der Altstadt duftet es während meines Spaziergangs alle paar Schritte nach Zimt und Holzkohle. Es sind Trdelník, mit Zucker und Zimt bestäubte Baumstriezel, die auf langen Rollen über der Kohle backen. Sie werden serviert mit Vanille-Softeis in der Mitte und sind der Kassenschlager in den Gassen. Ich kaufe mir eins und laufe weiter. Bei einer Straßenmusikerin bleibe ich stehen. Sie sitzt auf einem Hocker, auf ihren Beinen liegt ein Instrument. Zwei aufeinanderliegende Schalenhälfte, die wie der Panzer einer Schildkröte aussehen. Mit den Handflächen schlägt sie rund herum auf die Einkerbungen. Sanfte Melodien füllen die Straßen und locken Menschen an. Das Instrument nennt sich Hang, wie ich später herausfinde. Das Video der Musikerin kann ich mir zu Hause auf YouTube ansehen, weil es einer der filmenden Touristen online gestellt hat.

Prag damals und heute

Das touristische Treiben in Prag mag nichts mit Kafkas Prag zu tun haben. Doch beim Betrachten von schwarz-weiß Bildern zu Kafkas Zeiten scheint sich nicht allzu viel geändert haben. Die Bauten sehen heute genauso herrschaftlich aus, mit dem Unterschied, dass die Fassaden inzwischen mehrmals restauriert und herausgeputzt wurden. Geschichtsträchtig und doch irgendwie zeitlos. Dieses Gefühl habe ich, wenn ich mich in Prag umsehe. Und genau so sollte Weltliteratur sein.

Quellen und weiterführende Literatur

Dömling, Wolfgang (2011): Prag. Literarische Spaziergänge. Berlin: Insel Verlag.

Kafka, Franz. Tagebücher 1910 – 1923.

Roth, Joseph (2012): Heimweh nach Prag. Feuilletons, Glossen, Reportagen für das Prager Tagblatt. Göttingen: Wallstein Verlag.

Wagenbach, Klaus (1993): Kafkas Prag. Ein Reiselesebuch. Berlin: Klaus Wagenbach.

Umschlagplatz der Geschichten – Ein Samstag auf dem Bücherflohmarkt

Umschlagplatz der Geschichten – Ein Samstag auf dem Bücherflohmarkt

Ich stehe in der Mittagssonne vor den Büchertischen und lasse meine Finger über die Buchränder wandern. Dabei kippe ich sie um wie Dominosteine, lasse Buchdeckel an Buchdeckel klappen auf der Suche nach nichts Bestimmten. Es war ein Zufall, der mich an diesem Samstag zu diesem Bücherflohmarkt geführt hat. Genauso absichtslos nehme ich die Bücher in die Hand.

Fundstücke auf dem Bücherflohmarkt

Zwischen vielen unbekannten Titeln entdecke ich meine alten Bücher in genau den Ausgaben, die einmal in meinem Regal standen. Irgendwann habe ich sie ungelesen weitergegeben, weil ich erkennen musste, dass ich sie wahrscheinlich nie lesen werde. Ich blättere mich durch vergilbte Seiten und stoße auf eine handgeschriebene Widmung. Einfach so steht sie da, mit schwarzem Kugelschreiber geschrieben, verewigt auf Seite eins. „Hals- und Beinbruch, sowie eine gute (Bruch-?) Landung wünscht dir kein anderer als Philipp“, lese ich.

Widmung in Max Frisch‘ Homo Faber

Ich schmunzle über die Widmung, diese pointierten Wünsche für eine bevorstehende Reise. Es sind Worte, die nicht für mich bestimmt sind und für niemanden sonst. Bücher wie diese begegnen mir oft, da ich die meisten meiner Bücher gebraucht kaufe.

Widmungen erzählen Geschichten

Bei solchen Büchern stelle ich mir immer dieselben Fragen: Warum bloß wurde es weggegeben? Ist das Buch eine Erinnerung, die nichts mehr wert ist? An eine Liebe oder eine Freundschaft vielleicht. Ist es ein Buch, das erst verliehen und dann vergessen wurde? Ist es über eine Haushaltsauflösung in das Antiquariat gekommen, gebracht von den Enkeln oder Kindern in einem Umzugskarton?

Das Eigenleben der Bücher

Ich stöbere weiter und entdecke ein schmales Büchlein vom Eigenleben der Widmungen und den Geschichten, die sich daraus entspinnen lassen. In Jana Volkmanns Erzählung Fremde Worte flüchtet sich eine einstige Leserin in diese Widmungen.

Hanna hatte aufgehört, Romane zu lesen, und angefangen, Widmungen zu lesen. […] Sie hatten nur einen einzigen Adressaten, sie waren immer bloß für dich […].

Auf der Suche nach solchen Widmungen streift sie durch die Antiquariate und Flohmärkte Berlins. “Erst ganz zum Schluss schlug sie wie beiläufig, wie versehentlich die leere Seite zwischen Impressum und Vorwort auf. Und dann die leeren Seiten innen am Buchdeckel.”

Ein wenig ertappt fühle ich mich und lese weiter in den Geschichten um die Geschichte, den kleinen Schätzen aus Alltagsbeobachtungen und beschließe, es mitzunehmen.

Bücher und Geschichten auf Reisen

Da stehe ich also auf einem Umschlagplatz der Geschichten. Denke nach, über dies und jenes und Hanna, während ich meine drei ausgesuchten Bücher beim Standbesitzer bezahle. Was die Widmungen bedeuten, das wissen nur das Du und das Ich und wie sie auf den Flohmärkten gelandet sind, weiß sicher nur der Beschenkte. Meine Bücher haben noch nicht ihren letzten Besitzer gefunden. Eines Tages werde ich manche von ihnen freigeben und wer weiß, vielleicht landen sie dann auf einem dieser Bücherflohmärkte und jemand kauft sie wegen der Widmung.

Quellen und weiterführende Literatur

Volkmann, Jana (2014): Fremde Worte. Textlicht Band 9. Wien: Edition Atelier.

Schreibort Museum – 5 Gründe, warum du im Museum schreiben solltest

Schreibort Museum – 5 Gründe, warum du im Museum schreiben solltest

Als ich einmal ein Mädchen dabei beobachtet habe, wie es im Senckenberg Museum Skizzen von einem Dinosaurier-Skelett anfertigte und darin vollkommen versunken war, habe ich mich gefragt, ob das Museum nicht auch ein guter Ort für das Schreiben sein kann. Ich nahm mir die diesjährige Nacht der Museen in Frankfurt am Main zum Anlass, um in kurzer Zeit mehrere Ausstellungen zu besuchen, durch Gänge zu streifen und dabei Eindrücke und Ideen zu notieren.

Was macht das Museum zu einem guten Schreibort?

Museen sind Orte voller Geschichten. Sie blicken in die Vergangenheit und erzählen dabei von unserer Gegenwart. Sie geben Antworten und werfen gleichzeitig neue Fragen auf. Sie geben Impulse und schulen das Beobachten. Nicht zuletzt deshalb bieten Museen Kurse für Kreatives Schreiben vor Ort an.

Falls du noch nicht in einem Museum geschrieben hast, ermuntern dich diese Gründe bestimmt dazu.

1. Konzentration und unvergleichliche Atmosphäre

Bereits beim Betreten entfaltet ein Museum seine Wirkung. Hohe Decken, galerieartige Treppenaufgänge, verwinkelte Gänge. Nirgendwo sonst entfliehst du dem Alltag und der Stadt schneller. Nirgendwo sonst bist du mehr bei dir und das trotz der Nebengeräusche. Alles verschwimmt zu einem Grundrauschen. Die knarrenden Holzdielen, die Schritte, die einen Hall in den Räumen hinterlassen, das Murmeln einer kleinen Gruppe. Du tauchst ab auf eine gedankliche Reise und lässt dich treiben. Für das Schreiben eignen sich Sitzbänke oder weniger belebte Nischen. Nimm dir Zeit für deine Gedanken und Empfindungen, die die Ausstellung bei dir auslöst, um dich ganz nach innen zu wenden und zu konzentrieren.

2. Fragen, Antworten und Gedankenanstöße

Eine gute Ausstellung gibt Antworten, aber sollte unbedingt neue Fragen stellen. Nimm diese Fragen mit und trage sie eine Weile mit dir herum. Das Museum ist ein Ort, der Assoziationen weckt und Gedanken miteinander verknüpft. Ausstellungen, die ein Thema aus mehreren Perspektiven beleuchten, sind ein wahrer Fundus für Ideen. Die Nacht-Ausstellung des Museum für Kommunikation erzählt unter anderem vom Nachtleben, Schlaflosigkeit, Sternenhimmel, Nachtarbeit, Lichterfesten und nächtlichen Angstgestalten. Jedes Thema für sich genommen bietet genügend Anregungen, doch vielleicht hat dir ein Thema gefehlt und du erweiterst die Ausstellung kurzerhand selbst auf dem Papier.

3. Beobachten und neue Eindrücke notieren

Im Museum gibt es viel zu sehen und teilweise auch zum Anfassen: Gemälde, Skulpturen, Videos oder Installationen. In all diesen sinnlichen Eindrücken steckt Stoff für Geschichten oder Figuren. Der Schlüssel dazu ist das Beobachten. Du könntest einen Gegenstand in eine Geschichte verweben oder dir das Aussehen oder (vermutete) Eigenschaften einer Figur aus einem Gemälde zu eigen machen. Wie du dich von Kunst zum Schreiben inspirieren lässt, erkläre ich in einem anderen Artikel.
Was das Museum als Schreibort außerdem interessant macht, sind die anderen Besucher*innen. Setz dich für eine Weile hin und beobachte das Treiben: Was machen eigentlich die anderen?

4. Dialoge mit Künstler*innen und Besucher*innen

Ist es nicht spannend zu erfahren, wie andere Künstler*innen arbeiten und zu ihren Themen gefunden haben? Viele Ausstellungen setzen sich am Rande mit der Biografie, den (Lebens-)Themen und dem Schaffensprozess der Künstler*innen auseinander. Das sind Einblicke, die dich dazu anregen, über deinen eigenen Schreibprozess und dein Schaffen nachzudenken.
Mit den Künstler*innen vor Ort ins Gespräch zu kommen, ist eher unwahrscheinlich, doch bietet eine Ausstellung genug Stoff, um sich mit anderen Besucher*innen, seiner Begleitung oder innerhalb einer Museumsführung auszutauschen.

5. Wissen und Wortschatz erweitern

Frei nach einem Zitat von Thomas Jefferson* gilt für die eigene Weiterentwicklung: Wenn du immer dorthin gehst, wo du schon warst, wirst du immer dort bleiben, wo du bist. In einem Museum lernst du immer etwas Neues: Wörter, historische Ereignisse, Zusammenhänge, Meinungen, Perspektiven, Persönlichkeiten, fremde Kulturen. Es lohnt sich daher auch Ausstellungen zu besuchen, die auf den ersten Blick für dich untypische Themen behandeln – doch damit eröffnet sich dir ein Zugang zu neuen Welten.

Digitales Museum für zu Hause

Für alle, die eine Ausstellung verpasst haben oder sich vorab ein Bild von ihr machen zu können, lassen sich Ausstellungen auch online von zu Hause entdecken. Immer mehr Museen stellen online ein umfangreiches Material zur Verfügung. Für die Ausstellung O Sentimental Machine von William Kentridge hat das Liebighaus in Frankfurt ein Digitorial zusammengestellt. Das Museum für Kommunikation hat einen so genannten Expotizer zur Ausstellung Die Nacht. Alles außer Schlaf.

Nach dem Besuch

Woran möchtest du dich nach einem Museumsbesuch erinnern? Damit die Ausstellung nicht so schnell an dir vorüber zieht, notiere dir abschließend ein kurzes Fazit. Wie zum Beispiel den Namen des Gemäldes, das dich am meisten beeindruckt hat oder den Raum, in dem du am meisten Zeit verbracht hast. Worüber möchtest du mehr erfahren und später weiter recherchieren?

Hast du schon einmal im Museum geschrieben?

Welche Erfahrung hast du gesammelt? Kommt das Museum für dich als Schreibort überhaupt infrage? Berichte mir gerne davon in den Kommentaren.


* If you want something you’ve never had

You must be willing to do something you’ve never done.

Thomas Jefferson