Literarisches Prag – Auf den Spuren von Franz Kafka

Literarisches Prag – Auf den Spuren von Franz Kafka

Prag – Praha. Da bin ich also in der Stadt an der Moldau, in der Franz Kafka geschrieben und die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat. In einem Zitat von Eichendorff heißt es: „Wer einen Dichter recht verstehen will, muß seine Heimat kennen“. Und so habe ich mich aufgemacht, Prag zu entdecken und eine literarische Annäherung zu schreiben an diese Stadt und ihren bekanntesten Schriftsteller.

Ein Spaziergang durch die Prager Altstadt

Meine erste Begegnung mit Prag sind Straßenschilder mit verschluckten Vokalen: Hrad, Mlýný, Hřbitov. Auf die frühere Zweisprachigkeit weist nichts mehr hin. Alles ist auf tschechisch ausgeschildert, selbst die Sehenswürdigkeiten für die vielen Touristen. Ich starte am Platz der Republik. Touristen schwemmen die Straße vom Altstädter Ring bis zur Karlsbrücke. Es ist ein Stimmengewirr aus spanisch, französisch, englisch, chinesisch und tschechisch. Schnell wird mir klar, dass ich Prag in den nächsten Tagen nicht für mich alleine haben werde.

Kafkas Prag im frühen 20. Jahrhundert

Franz Kafka (1883 – 1924) wuchs in einem Prag auf, in dem Tschechen, Juden und Deutsche zusammen lebten, wobei die Deutschen eine Minderheit darstellten. Als Jude gehörte er damit einer doppelten Minderheit an. Auch wenn das meiste posthum und gegen seinen Willen an die Öffentlichkeit gelangte (sein Freund und Schriftsteller Max Brod veröffentlichte seinen Nachlass), gehört das Werk Kafkas zum Kanon der Weltliteratur. Bis heute werden seine Erzählungen und insbesondere Die Verwandlung in den Schulen gelesen.

Das heutige Haus Minutá in der Prager Altstadt, in dem Familie Kafka lebte.
Das heutige Haus Minutá in der Prager Altstadt, in dem Familie Kafka lebte.

Innerhalb Prags stehen sie fast alle noch und sind fußläufig zu erreichen: Das (wiedererrichtete) Geburtshaus am Franz-Kafka-Platz, die Wohn- und Arbeitshäuser. Da wären die ehemaligen Geschäftsräume von Kafkas Vater im Kinský-Palais am Altstädter Ring, Kafkas Gymnasium auf der Rückseite und nicht weit davon entfernt das Haus Minutá, in dem Kafka mit seiner Familie lebte. Eines seiner Arbeitszimmer befand sich im Goldenen Gäßchen, auch bekannt als Alchemistengasse mit der Nr. 22 und lässt sich auf dem Hradschin besuchen.

Kafka als verbotener Autor

Dass sich seine Spuren in Prag so gut nachverfolgen lassen und sichtbar sind, ist nicht selbstverständlich. Denn es gab ein ”politisch verordnete[s] Totschweigen”, wie Wolfgang Dömling es bezeichnet. Kafkas Werk wurde während der Zeit des Nationalsozialismus und später im kommunistischen Tschechien verboten. Mit der Rehabilitierung 1963 auf der so genannten Kafka-Konferenz öffnete sich Prag allmählich für den Schriftsteller. Sein Werk ist nun vollständig ins Tschechische übersetzt worden und die Franz-Kafka-Gesellschaft widmet sich seiner Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Spurensuche im Franz-Kafka-Museum

Was wäre Prag ohne Kafka? Oder anders gefragt: Was wäre Kafka ohne Prag? Dieser Frage widmet sich die Dauerausstellung Die Stadt von K.: Franz Kafka und Prag. Auf der Kleinseite, nahe der Moldau gelegen, befindet sich das Franz-Kafka-Museum. Es wurde 2005 gegründet und als Ausstellungsraum dient der Dachboden einer Ziegelei.

Eingangsbereich Franz-Kafka-Museum in Prag
Der Eingangsbereich des Franz-Kafka-Museums

Im Museum ist es dunkel. Das Licht ist aus und lediglich die Tische und Glaskästen werden angestrahlt. Zwischen den Ausstellungsstücken ist das Gebälk des Dachbodens sichtbar. Es herrscht eine düstere, beklemmende Atmosphäre, die gleichzeitig das Gefühl weckt, hier Schätze heben zu können. Zitate zieren die Wände, der Stammbaum und die Wohnorte in Prag werden nachgezeichnet und hinter Glas liegen Kafkas Briefe und Korrespondenz mit Behörden sowie Erstausgaben seiner Bücher. Die Rezeption seines Werks ist ebenso Thema wie Kafkas Beziehungen und Verlobungen, die Bürokratie und seine Erwerbsarbeit bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt.

Kafkas Leben und Literatur als Rätsel

Die Ausstellung wirft Schlaglichter auf Kafkas Leben. Ein Leben für das geschriebene Wort und die Literatur, das ihn, so suggeriert es die Ausstellung, letztendlich auch isoliert hat. Prag und Kafka. Eine Stadt, von der er nie fortkam und er, der sich immer wieder fürs Schreiben entschieden hat – und sich zwischen schriftstellerischem Schaffen und seinem Brotberuf zerrieben hat:

Mein Posten ist mir unerträglich, weil er meinem einzigen Verlangen und meinem einzigen Beruf, das ist der Literatur, widerspricht. Da ich nichts anderes bin als Literatur und nichts anderes sein kann und will, so kann mich mein Posten niemals zu sich reißen, wohl aber kann er mich gänzlich zerrütten.

Franz Kafka, Tagebücher 1910 – 1923

Vieles bleibt rätselhaft. Im Museum begegnet mir mehrmals der Begriff enigma, das Rätsel. Und vielleicht passen hierzu Willy Haas’ Worte über Kafka am besten:

Ich kann es mir nicht vorstellen, wie irgendein Mensch ihn überhaupt verstehen kann, der nicht in Prag und nicht um 1890 und 1880 geboren ist.

Willy Haas, Begründer der Zeitschrift „Die literarische Welt“

Mit ihrer geheimnisvollen Atmosphäre samt zugehörigem Soundtrack macht die Ausstellung vor allem eins greifbar: das Kafkaeske.

Prag als touristische Weltstadt

Zurück in der Altstadt duftet es während meines Spaziergangs alle paar Schritte nach Zimt und Holzkohle. Es sind Trdelník, mit Zucker und Zimt bestäubte Baumstriezel, die auf langen Rollen über der Kohle backen. Sie werden serviert mit Vanille-Softeis in der Mitte und sind der Kassenschlager in den Gassen. Ich kaufe mir eins und laufe weiter. Bei einer Straßenmusikerin bleibe ich stehen. Sie sitzt auf einem Hocker, auf ihren Beinen liegt ein Instrument. Zwei aufeinanderliegende Schalenhälfte, die wie der Panzer einer Schildkröte aussehen. Mit den Handflächen schlägt sie rund herum auf die Einkerbungen. Sanfte Melodien füllen die Straßen und locken Menschen an. Das Instrument nennt sich Hang, wie ich später herausfinde. Das Video der Musikerin kann ich mir zu Hause auf YouTube ansehen, weil es einer der filmenden Touristen online gestellt hat.

Prag damals und heute

Das touristische Treiben in Prag mag nichts mit Kafkas Prag zu tun haben. Doch beim Betrachten von schwarz-weiß Bildern zu Kafkas Zeiten scheint sich nicht allzu viel geändert haben. Die Bauten sehen heute genauso herrschaftlich aus, mit dem Unterschied, dass die Fassaden inzwischen mehrmals restauriert und herausgeputzt wurden. Geschichtsträchtig und doch irgendwie zeitlos. Dieses Gefühl habe ich, wenn ich mich in Prag umsehe. Und genau so sollte Weltliteratur sein.

Quellen und weiterführende Literatur

Dömling, Wolfgang (2011): Prag. Literarische Spaziergänge. Berlin: Insel Verlag.

Kafka, Franz. Tagebücher 1910 – 1923.

Roth, Joseph (2012): Heimweh nach Prag. Feuilletons, Glossen, Reportagen für das Prager Tagblatt. Göttingen: Wallstein Verlag.

Wagenbach, Klaus (1993): Kafkas Prag. Ein Reiselesebuch. Berlin: Klaus Wagenbach.

Umschlagplatz der Geschichten – Ein Samstag auf dem Bücherflohmarkt

Umschlagplatz der Geschichten – Ein Samstag auf dem Bücherflohmarkt

Ich stehe in der Mittagssonne vor den Büchertischen und lasse meine Finger über die Buchränder wandern. Dabei kippe ich sie um wie Dominosteine, lasse Buchdeckel an Buchdeckel klappen auf der Suche nach nichts Bestimmten. Es war ein Zufall, der mich an diesem Samstag zu diesem Bücherflohmarkt geführt hat. Genauso absichtslos nehme ich die Bücher in die Hand.

Fundstücke auf dem Bücherflohmarkt

Zwischen vielen unbekannten Titeln entdecke ich meine alten Bücher in genau den Ausgaben, die einmal in meinem Regal standen. Irgendwann habe ich sie ungelesen weitergegeben, weil ich erkennen musste, dass ich sie wahrscheinlich nie lesen werde. Ich blättere mich durch vergilbte Seiten und stoße auf eine handgeschriebene Widmung. Einfach so steht sie da, mit schwarzem Kugelschreiber geschrieben, verewigt auf Seite eins. „Hals- und Beinbruch, sowie eine gute (Bruch-?) Landung wünscht dir kein anderer als Philipp“, lese ich.

Widmung in Max Frisch‘ Homo Faber

Ich schmunzle über die Widmung, diese pointierten Wünsche für eine bevorstehende Reise. Es sind Worte, die nicht für mich bestimmt sind und für niemanden sonst. Bücher wie diese begegnen mir oft, da ich die meisten meiner Bücher gebraucht kaufe.

Widmungen erzählen Geschichten

Bei solchen Büchern stelle ich mir immer dieselben Fragen: Warum bloß wurde es weggegeben? Ist das Buch eine Erinnerung, die nichts mehr wert ist? An eine Liebe oder eine Freundschaft vielleicht. Ist es ein Buch, das erst verliehen und dann vergessen wurde? Ist es über eine Haushaltsauflösung in das Antiquariat gekommen, gebracht von den Enkeln oder Kindern in einem Umzugskarton?

Das Eigenleben der Bücher

Ich stöbere weiter und entdecke ein schmales Büchlein vom Eigenleben der Widmungen und den Geschichten, die sich daraus entspinnen lassen. In Jana Volkmanns Erzählung Fremde Worte flüchtet sich eine einstige Leserin in diese Widmungen.

Hanna hatte aufgehört, Romane zu lesen, und angefangen, Widmungen zu lesen. […] Sie hatten nur einen einzigen Adressaten, sie waren immer bloß für dich […].

Auf der Suche nach solchen Widmungen streift sie durch die Antiquariate und Flohmärkte Berlins. “Erst ganz zum Schluss schlug sie wie beiläufig, wie versehentlich die leere Seite zwischen Impressum und Vorwort auf. Und dann die leeren Seiten innen am Buchdeckel.”

Ein wenig ertappt fühle ich mich und lese weiter in den Geschichten um die Geschichte, den kleinen Schätzen aus Alltagsbeobachtungen und beschließe, es mitzunehmen.

Bücher und Geschichten auf Reisen

Da stehe ich also auf einem Umschlagplatz der Geschichten. Denke nach, über dies und jenes und Hanna, während ich meine drei ausgesuchten Bücher beim Standbesitzer bezahle. Was die Widmungen bedeuten, das wissen nur das Du und das Ich und wie sie auf den Flohmärkten gelandet sind, weiß sicher nur der Beschenkte. Meine Bücher haben noch nicht ihren letzten Besitzer gefunden. Eines Tages werde ich manche von ihnen freigeben und wer weiß, vielleicht landen sie dann auf einem dieser Bücherflohmärkte und jemand kauft sie wegen der Widmung.

Quellen und weiterführende Literatur

Volkmann, Jana (2014): Fremde Worte. Textlicht Band 9. Wien: Edition Atelier.

Schreibort Museum – 5 Gründe, warum du im Museum schreiben solltest

Schreibort Museum – 5 Gründe, warum du im Museum schreiben solltest

Als ich einmal ein Mädchen dabei beobachtet habe, wie es im Senckenberg Museum Skizzen von einem Dinosaurier-Skelett anfertigte und darin vollkommen versunken war, habe ich mich gefragt, ob das Museum nicht auch ein guter Ort für das Schreiben sein kann. Ich nahm mir die diesjährige Nacht der Museen in Frankfurt am Main zum Anlass, um in kurzer Zeit mehrere Ausstellungen zu besuchen, durch Gänge zu streifen und dabei Eindrücke und Ideen zu notieren.

Was macht das Museum zu einem guten Schreibort?

Museen sind Orte voller Geschichten. Sie blicken in die Vergangenheit und erzählen dabei von unserer Gegenwart. Sie geben Antworten und werfen gleichzeitig neue Fragen auf. Sie geben Impulse und schulen das Beobachten. Nicht zuletzt deshalb bieten Museen Kurse für Kreatives Schreiben vor Ort an.

Falls du noch nicht in einem Museum geschrieben hast, ermuntern dich diese Gründe bestimmt dazu.

1. Konzentration und unvergleichliche Atmosphäre

Bereits beim Betreten entfaltet ein Museum seine Wirkung. Hohe Decken, galerieartige Treppenaufgänge, verwinkelte Gänge. Nirgendwo sonst entfliehst du dem Alltag und der Stadt schneller. Nirgendwo sonst bist du mehr bei dir und das trotz der Nebengeräusche. Alles verschwimmt zu einem Grundrauschen. Die knarrenden Holzdielen, die Schritte, die einen Hall in den Räumen hinterlassen, das Murmeln einer kleinen Gruppe. Du tauchst ab auf eine gedankliche Reise und lässt dich treiben. Für das Schreiben eignen sich Sitzbänke oder weniger belebte Nischen. Nimm dir Zeit für deine Gedanken und Empfindungen, die die Ausstellung bei dir auslöst, um dich ganz nach innen zu wenden und zu konzentrieren.

2. Fragen, Antworten und Gedankenanstöße

Eine gute Ausstellung gibt Antworten, aber sollte unbedingt neue Fragen stellen. Nimm diese Fragen mit und trage sie eine Weile mit dir herum. Das Museum ist ein Ort, der Assoziationen weckt und Gedanken miteinander verknüpft. Ausstellungen, die ein Thema aus mehreren Perspektiven beleuchten, sind ein wahrer Fundus für Ideen. Die Nacht-Ausstellung des Museum für Kommunikation erzählt unter anderem vom Nachtleben, Schlaflosigkeit, Sternenhimmel, Nachtarbeit, Lichterfesten und nächtlichen Angstgestalten. Jedes Thema für sich genommen bietet genügend Anregungen, doch vielleicht hat dir ein Thema gefehlt und du erweiterst die Ausstellung kurzerhand selbst auf dem Papier.

3. Beobachten und neue Eindrücke notieren

Im Museum gibt es viel zu sehen und teilweise auch zum Anfassen: Gemälde, Skulpturen, Videos oder Installationen. In all diesen sinnlichen Eindrücken steckt Stoff für Geschichten oder Figuren. Der Schlüssel dazu ist das Beobachten. Du könntest einen Gegenstand in eine Geschichte verweben oder dir das Aussehen oder (vermutete) Eigenschaften einer Figur aus einem Gemälde zu eigen machen. Wie du dich von Kunst zum Schreiben inspirieren lässt, erkläre ich in einem anderen Artikel.
Was das Museum als Schreibort außerdem interessant macht, sind die anderen Besucher*innen. Setz dich für eine Weile hin und beobachte das Treiben: Was machen eigentlich die anderen?

4. Dialoge mit Künstler*innen und Besucher*innen

Ist es nicht spannend zu erfahren, wie andere Künstler*innen arbeiten und zu ihren Themen gefunden haben? Viele Ausstellungen setzen sich am Rande mit der Biografie, den (Lebens-)Themen und dem Schaffensprozess der Künstler*innen auseinander. Das sind Einblicke, die dich dazu anregen, über deinen eigenen Schreibprozess und dein Schaffen nachzudenken.
Mit den Künstler*innen vor Ort ins Gespräch zu kommen, ist eher unwahrscheinlich, doch bietet eine Ausstellung genug Stoff, um sich mit anderen Besucher*innen, seiner Begleitung oder innerhalb einer Museumsführung auszutauschen.

5. Wissen und Wortschatz erweitern

Frei nach einem Zitat von Thomas Jefferson* gilt für die eigene Weiterentwicklung: Wenn du immer dorthin gehst, wo du schon warst, wirst du immer dort bleiben, wo du bist. In einem Museum lernst du immer etwas Neues: Wörter, historische Ereignisse, Zusammenhänge, Meinungen, Perspektiven, Persönlichkeiten, fremde Kulturen. Es lohnt sich daher auch Ausstellungen zu besuchen, die auf den ersten Blick für dich untypische Themen behandeln – doch damit eröffnet sich dir ein Zugang zu neuen Welten.

Digitales Museum für zu Hause

Für alle, die eine Ausstellung verpasst haben oder sich vorab ein Bild von ihr machen zu können, lassen sich Ausstellungen auch online von zu Hause entdecken. Immer mehr Museen stellen online ein umfangreiches Material zur Verfügung. Für die Ausstellung O Sentimental Machine von William Kentridge hat das Liebighaus in Frankfurt ein Digitorial zusammengestellt. Das Museum für Kommunikation hat einen so genannten Expotizer zur Ausstellung Die Nacht. Alles außer Schlaf.

Nach dem Besuch

Woran möchtest du dich nach einem Museumsbesuch erinnern? Damit die Ausstellung nicht so schnell an dir vorüber zieht, notiere dir abschließend ein kurzes Fazit. Wie zum Beispiel den Namen des Gemäldes, das dich am meisten beeindruckt hat oder den Raum, in dem du am meisten Zeit verbracht hast. Worüber möchtest du mehr erfahren und später weiter recherchieren?

Hast du schon einmal im Museum geschrieben?

Welche Erfahrung hast du gesammelt? Kommt das Museum für dich als Schreibort überhaupt infrage? Berichte mir gerne davon in den Kommentaren.


* If you want something you’ve never had

You must be willing to do something you’ve never done.

Thomas Jefferson


Visuelles Schreiben – Wie Bilder zum Schreiben inspirieren

Visuelles Schreiben – Wie Bilder zum Schreiben inspirieren

Visuelle Eindrücke sind eine wunderbare Grundlage, um mit dem Schreiben zu beginnen oder auf neue Ideen für Texte zu kommen. Gemälde und Kunstwerke setzen Assoziationen in uns frei, die inspirieren. Wie diese Art der Inspiration funktioniert, wie du sie für deine Texte nutzen kannst und wo du passendes Bildmaterial findest, liest du hier.

Inspiration beginnt mit der Beobachtung

Es ist gar nicht so leicht, mit wirklich offenen Augen, Ohren und Sinnen durch die Straßen zu laufen. Da die Menge an Informationen, die unsere Gehirne verarbeiten können, begrenzt ist, kommen bei uns oft nur gefilterte Reize an. Alles andere blendet unser Gehirn aus. Was uns im Alltag hilft und davor schützt, von Reizen überflutet zu werden, hindert uns inspiriert zu werden (vgl. Döring/Mittelstraß, 2017). Der „inspirierende Blick“, so wie Döring/Mittelstraß ihn nennen, ist nötig, um neuen Input zu empfangen.
Inspiration findet statt, wenn frische Impulse von außen auf bereits vorhandene Gedächtnisinhalte treffen. (aus: Döring/Mittelstraß, 2017)
 Das bewusste Konzentrieren auf ein Bild, seine Komposition und seine Details ist etwas, was wir im Alltag kaum tun. Wir scrollen, skimmen und überfliegen. “Wer Inspiration sucht, sollte lernen, die Aufmerksamkeit zu lenken und den Blick zu schärfen für das, was auf den ersten Blick verborgen ist. Nur was wir bewusst erfahren, können wir später einbeziehen in unsere Ideen, Pläne und Vorstellungen.“ (Döring/Mittelstraß, 2017)

Bild betrachten und wirken lassen

Wenn du dich ganz auf ein Bild konzentrierst, können diese Fragen dich dabei leiten:
  • was lenkt deinen Blick, wie schauen dich die Augenpaare an, was löst das in dir aus?
  • in welcher Konstellation könnten die Figuren zueinander oder zu ihrer Umgebung stehen?
  • welche Stimmung oder welcher Eindruck dominiert?
  • welche Fragen wirft das Bild auf?
  • welche Details findest du spannend: etwas in der Landschaft, eine Hintergrundfigur, eine Form oder Farbe?
Neben dem Blick von außen, den du auf das Bild wirfst, richtest du ihn gleichzeitig nach innen: Was passiert mit dir währenddessen, welche Assoziationen weckt das Bild? Es ist wahrscheinlich, dass du ein Thema, das dich gerade beschäftigt, in diesem Bild siehst oder es mit hinein trägst.

Wie Bilder deine Texte inspirieren

Um vom Bild zum Text zu gelangen, solltest du zunächst deine Eindrücke notieren. Dabei beginnst du, indem du sie in ein Wort oder einen Satz fasst. Dieser kann ein Ausgangspunkt für ein Cluster sein. Auf diese Weise wechseln sich bildliches und begriffliches Denken optimal ab und helfen dabei, deine Eindrücke in Worte zu kleiden. Oftmals zeichnet sich währenddessen bereits eine Richtung für den Text ab, den du anschließend über die Freewriting-Methode aufschreibst. (vgl. Rico, 1984: Kapitel 5).

Das Bild hilft dabei…
  • ein Thema für eine Geschichte oder Miniatur finden
  • zu einer Szene zu führen, die über sich hinausweist
  • deinen Schreibstil zu beeinflussen, je nach Malstil
  • Assoziationen zu wecken, Erinnerungen hervorzurufen
  • Figuren hervorzubringen
  • Landschaften oder Menschen zu beschreiben

Wo findest du Bilder für deine Texte?

Neben dem Gang ins Museum und in Kunstausstellungen lassen sich eine Vielzahl an Bildern und Gemälden online betrachten

Malerei, Porträts, Bildende Kunst
Google Arts & Culture umfasst Beiträge über Künstler, ihre Gemälde und Skulpturen. Aus der Kooperation mit 1.200 Museen, Galerien und Instituten aus 70 Ländern heraus bietet Google Arts & Culture Zugriff auf deren Ausstellungen. Es lassen sich unter anderem Bilder betrachten und nach Ausstellungen und Veranstaltungen in der Nähe suchen. Besonders hilfreich kann die Sortierung nach Kunstrichtung sein, um Serientexte zu erstellen oder den Schreibstil an einen bestimmten Malstil anzupassen. Auch als App im Google Playstore erhältlich.

Per App: DailyArt
Täglich Kunst und Inspiration auf dem Smartphone gibt es mit der App DailyArt. Jeden Tag um 18 Uhr kommt per Push-Nachricht ein neues Gemälde mit einem kurzen Text über den Künstler und die Entstehungsgeschichte des Werks. Die Bilder sind neben der App für Android und iOS auch online verfügbar.

Fotografien
In der Foto-Community flickr finden sich Fotografien, hochgeladen von professionellen und Hobbyfotografen. Auf der Suche nach Inspiration für Figuren ist der Bereich Porträts spannend.

Visual Writing Prompts
Visual Writing Prompts sind Schreibanregungen, denen ein Bild zugrunde liegt. Diese sind im englischsprachigen Raum weitaus verbreiteter als bei uns. Nicht alle Anregungen sind interessant oder wirklich inspirierend, auf thecreative.cafe befindet sich eine Auswahl, um einen Eindruck von der Art der Übungen zu erhalten.

Video
Videos und bewegte Bilder, wie zum Beispiel bei vimeo transportieren Stimmung und öffnen den Blick für Raum und Weite. Videos von Landschafts- und Reiseaufnahmen sind ideal, wenn du auf der Suche nach Schauplätzen bist und ein Gefühl für den Ort bekommen möchtest. Bei Kurzfilmen besteht die Gefahr, 1:1 das Drehbuch zur Szene zu Schreiben. Um diese Art von Film produktiv als Ideengeber zu nutzen, solltest du interessante Fragestellung daraus aufgreifen oder die Leerstellen, die in Szene mitschwingen. Du könntest weg vom Sichtbaren das Innenleben und die Gedanken einer Person in Text fassen, oft werden diese nicht explizit, sondern durch Handlung oder Atmosphäre ausgedrückt. Vielleicht regt dich ein Kurzfilm dazu an, nicht gezeigte Szenen zu schreiben, die Idee des Plots oder der Prämisse aufzugreifen.

Beispiele und Inspiration zum Üben

Auf meinem Pinterest Board Schreiben zu Kunst sammle ich Gemälde, die inspirieren und zum Schreiben anregen, so zum Beispiel: Edvard Munch: Zwei Menschen, die Einsamen

Edvard Munch - Die Einsamen

Dieses Bild erzählt mir eine Geschichte. Ist er ihr nachgelaufen, gab es einen Streit? Hat sie vielleicht nicht bemerkt, dass er ihr gefolgt ist und hinter ihr steht? Zaudernd und mit sich ringend, ob er etwas sagen, sie ansprechen soll? Die Steine und der Sand unter seinen Schuhsohlen würden jede seiner weiteren Bewegungen verraten. Doch vielleicht ist die Brandung der Wellen so laut, dass sie ihn nicht hören wird? Sie würde nur seine Hand auf der Schulter bemerken…

Wie du merkst, bin ich schon mitten in einer Szene, deren nähere Bedeutung und Ausgang ich selbst nicht kenne, aber der ich mich schreibend genähert habe. Fasst er sie an die Schulter? Wie reagiert sie darauf? Wie sieht es aus ihrer Perspektive aus? Er wiederum sieht ihren Rücken und ein Erzähler oder Beobachter aus der Ferne sieht die beiden. Wie wirkt die Szene auf ihn?

Inspirieren auch dich Bilder zum Schreiben?

Was fällt dir zu den Bildern ein? Berichte mir gerne von deinen Erfahrungen!

Schreiben zu Kunst

Quellen und weiterführende Literatur

Döring, Iris; Mittelstraß, Bettina (2017): Inspiration: Wie Gedanken in den Kopf kommen und daraus Ideen entstehen. Reinbek: Rowohlt.

Rico, Gabriele (1984): Garantiert schreiben lernen. Reinbek: Rowohlt.

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