Mal sprudeln die Ideen, mal warten wir vergeblich auf einen guten Einfall. Mal haben wir mehr Energie für unser Schreibprojekt und an manchen Tagen bringen wir nichts zu Papier. Jeder, der schreibt und Kreatives erschafft, kann ein Lied davon singen.
Natürlich ist kein Tag wie der andere, doch haben diese Schwankungen einen Grund: Sie sind Teil des kreativen Prozesses und jeder, der schreibt, muss durch diese Phasen durch. Wenn du weißt, was dabei in dir vorgeht, kannst du dein Schreibprojekt viel entspannter angehen und sogar genießen.
Die Phasen im kreativen Prozess
In der Kreativitätsforschung gibt es die sogenannte Phasentheorie. Graham Wallas hat 1926 in seinem bekannten Vier-Phasen-Modell zusammengefasst, was während des kreativen Denkens in uns vorgeht. Claudia Schuch und Heidi Werder beschreiben in ihrem Buch Die Muse küsst – und dann?: Lust und Last im kreativen Prozess insgesamt sechs Phasen im schöpferischen Prozess. Die Phasen laufen in etwa wie folgt ab:
1. Phase: Vorbereitung
In dieser Phase geht es um das Suchen und Sammeln. Angenommen, du willst eine Geschichte schreiben, dann überlegst du sicherlich zuerst, worum es gehen soll. Du sammelst erste Ideen und hast vielleicht schon ein oder zwei Hauptfiguren im Kopf. Vielleicht recherchierst du auch. Irgendwann hast du viel Material beisammen. Es ist ungeordnet und unübersichtlich. Du weißt nicht weiter und fühlst dich hilflos.
2. Phase: Inkubation
In dieser Phase brütest du wortwörtlich etwas aus. Von außen betrachtet, passiert nicht. Die eigentliche Arbeit spielt sich im Unterbewusstsein ab. Claudia Schuch und Heidi Werder beschreiben Inkubieren als einen „Zustand, in dem das gesammelte Material innerlich verarbeitet, gewandelt und in eine neue, umfassende Form gebracht werden soll.“ Das Ausbrüten kostet Energie und es kann sein, dass du dich in dieser Zeit müde und leer fühlst. Vielleicht brauchst du mehr Zeit für dich oder willst mit niemandem darüber sprechen, woran du gerade arbeitest oder besser gesagt: es versuchst. Wie lange dieser Zustand anhält, ist unterschiedlich. Ist kein Zeitdruck dabei, kann sich diese Phase eine Weile hinziehen.
3. Phase: Moment der Erkenntnis
Nun hat sie dich endlich geküsst, die Muse! In dieser Phase erlebst du dein Heureka!, deinen Aha-Moment. Dieser Moment bringt dir eine Idee, eine Skizze, ein Bild oder eine Melodie. Dein Unterbewusstsein hat mit dem Rohmaterial gearbeitet und es sortiert. Der Musenkuss kommt oft dann, wenn du nicht mit ihm rechnest und etwas tust, wobei deine Gedanken abschweifen: zum Beispiel beim Duschen, Kochen, Schwimmen oder wenn du auf den Zug wartest. Dieser Kuss setzt Energie in dir frei: Du bist begeistert und fühlst dich befreit. Du bewertest die neuen Ideen und entscheidest, wie es weiter geht.
4. Phase: Zeit der Arbeit
Endlich kannst du dich an die Arbeit machen: Schnell schreibst du im Flow und tippst dir die Finger wund. Auf einmal hast du genug Energie, um die Nacht durchzuarbeiten. Du vergisst dich selbst und die Zeit. Ein traumhafter Zustand für alle Schreiber! Doch Vorsicht: Die Stimme des inneren Kritikers oder Selbstzweifel reißen schnell aus dem Flow heraus.
5. Phase: Verifikation
Dein Text oder dein Schreibprojekt ist geschrieben und es kann sein, dass es anders ist, als du es dir vorgestellt hast. Dein Text kann sich fremd anfühlen, weil unbewusste Anteile mit eingeflossen sind. In dieser Phase erlebst du den zweiten Aha-Moment und lernst etwas Neues über dich selbst: Indem du dich mit deinem Text auseinandersetzt, ihn bewertest, überarbeitest und anerkennst. Letztendlich wertschätzt du deinen Text. Gleichzeitig stellst du dir vielleicht vor, was andere zu deinem Text sagen könnten. Aus Angst vor der Reaktion verstecken manche Kreative ihre Arbeit.
6. Phase: Zeit der Erholung
Dein Schreibprojekt ist beendet, doch anstatt erleichtert zu sein, fühlst du dich leer und verloren? Kein Wunder, deine Energie ist verbraucht. Du hast dein Ziel erreicht und fragst dich vielleicht, was du nun mit deiner Zeit anfängst. Du musst deine Arbeit nun loslassen. In dieser Phase hilft es, dich mit allem außer dem Schreiben zu beschäftigen: schlafen, aufräumen, im Garten arbeiten, Sport machen…
Der kreative Prozess im Alltag
In der Praxis lassen sich die Phasen nicht so strikt voneinander trennen wie im Modell. Sie überschneiden sich und gehen ineinander über. Bis eine kreative Arbeit abgeschlossen ist, musst du alle Phasen durchlaufen – es lässt sich keine überspringen. Doch es kann schon mal sein, dass du in diesem Prozess die ein oder andere Schleife drehst, zum Beispiel:
Wechseln sich Inkubation und Ana-Momente ab.
Verifizierst du nach der Arbeitsphase deine Texte und springst danach zurück in die Arbeitsphase, verifizierst noch einmal usw.
Legst du nach der Arbeitsphase eine Erholungspause ein, bevor du dich wieder an die Arbeit machst.
Höre auf dich und vertraue dem Prozess
Hast du dich wiedererkannt? Dann weißt du sicher, in welcher Phase du gerade steckst und was du nun brauchst. Das kann Zeit für dich sein, Ablenkung vom Schreiben, ungestörte Schreibzeit, Strategien gegen den inneren Kritiker oder eine klare Deadline. Beim Schreiben werden wir immer mit uns selbst konfrontiert. Hör also genau in dich hinein, was du gerade brauchst, auch wenn es bedeutet, dass du erst einmal nicht schreiben willst. Es ist vollkommen in Ordnung, in einem Schreibtief zu stecken. Vertraue dem kreativen Prozess, irgendwann kommst du am Ende an – und beginnst wieder von vorne mit einem neuen Text.
Quellen und weiterführende Literatur:
Csíkszentmihályi, Mihaly (2014): Flow und Kreativität. Wie Sie Ihre Grenzen überwinden und das Unmögliche schaffen. Klett-Cotta Verlag: Stuttgart.
Fitzke, Daniel (2018): 30 Minuten Schreibblockaden lösen. Gabel: Offenbach.
Schuch, Claudia; Werder, Heidi (2006): Die Muse küsst – und dann?: Lust und Last im kreativen Prozess. Karger: Basel.
Als ich angefangen habe, diesen Jahresrückblick zu schreiben, hat es sich so angefühlt, als ob gar nicht so viel passiert ist. Doch ist es nicht immer so, dass wir so ein Jahr ganz schön unterschätzen? Auch wenn es in der zweiten Jahreshälfte still geworden ist auf Federschrift, hat mich das Schreiben das ganze Jahr über begleitet und ich habe so einiges erreicht.
Meine Weiterbildung zur Schreibberaterin
Eines meiner Ziele für dieses Jahr war die Weiterbildung zur zertifizierten Schreibberaterin und Schreibtrainerin. Von Februar bis Juli war ich dafür regelmäßig am SchreibCenter der TU Darmstadt. Anfangs für Workshops, später für eigene Beratungen. Das SchreibCenter steht allen Studierenden offen, die beim Schreiben nicht alleine weiterkommen – bei der Hausarbeit, dem Essay oder der Abschlussarbeit. Und offen sind die Türen wirklich, da es freie Sprechstunden ohne Anmeldung gibt. Das heißt für die Schreibberater*innen, dass sie sich nicht auf die Themen vorbereiten können. Doch ich habe gelernt, dass das gar nicht schlimm ist. Ich kannte die Abläufe, Methoden und Fragetechniken und ließ das Gespräch auf mich zukommen.
Das Team habe ich besonders lieb gewonnen, da ich durch die Beratungen stark in das SchreibCenter eingebunden war. Ich habe nicht nur viel über mein eigenes Schreiben gelernt, sondern auch von den anderen. Wie gehen sie vor – in der Beratung und beim Schreiben? Den einen Weg gibt es nicht. Jeder schreibt auf seine Weise und braucht andere Methoden oder Hilfsmittel. Die Schreibberatung ist dazu da, das gemeinsam herauszufinden.
Ein wenig vermisse ich diese Zeit und den Weg zum SchreibCenter, der durch den wunderschönen Herrngarten führt. Zum Abschluss habe ich einen Schreibberaterkoffer mit Methoden, Vorlagen und Übungen zusammengestellt. Da der Schwerpunkt in der Weiterbildung auf dem wissenschaftlichen Schreiben liegt, habe ich mir vieles für das literarische Schreiben erarbeitet. Im neuen Jahr wird es einiges davon auf Federschrift geben.
Berufliches Schreiben oder: schreiben unter Druck
Schreiben unter Druck war eines meiner großen Themen in diesem Jahr, dem ich zwei Blogartikel gewidmet hab: Schreiben unter Zeitdruck und Schreiben unter innerem Druck. Dass es mich so beschäftigt hat, lag rückblickend an meinem Selbstverständnis als Schreiberin. Mir wurde immer wieder meine eigene Unsicherheit gespiegelt. Das hat mich viel Energie gekostet, die ich viel lieber in Federschrift gesteckt hätte.
Doch auch daran bin ich gewachsen und ich kann weiterziehen: Nach fünf Jahren verabschiede ich mich vom Agenturleben. Ich freue mich schon darauf, in den Bereich Corporate Publishing zurückzukehren. Denn dort hat vor zehn Jahren alles angefangen. Passend zum Thema habe ich im Januar mein Fernstudium im Bereich PR und Öffentlichkeitsarbeit abgeschlossen – mit einer Hausarbeit über Corporate Language, also die unverwechselbare Sprache eines Unternehmens.
Schreibpause auf Federschrift
Bis zum Sommer habe ich regelmäßig auf Federschrift geschrieben. Der Inspirationsletter ist im Juni ein Jahr alt geworden. Ich habe das Design weiterentwickelt und einen exklusiven Download-Bereich mit Schreibübungen für meine Newsletter-Abonnent*innen eingerichtet. Ich hatte noch viel mehr vor, doch habe nicht mehr weitergemacht. Diese Pause wurde immer länger und mit jedem weiteren Monat habe ich mich gefragt, was passieren würde, wenn ich aufhöre. Und weißt du was? Es würde NICHTS passieren. Dieser Gedanke hat mich wieder zurückgeholt. Denn das Schreiben und Federschrift bereichert mein Leben um so viel mehr. Und das tausche ich gerne gegen das NICHTS ein.
An das eigene (Schreib-)Projekt zu glauben, ist nicht immer leicht. Zweifel werden immer wieder kommen und gehen – wie Wellen. Das nächste Mal weiß ich besser, was ich dagegen tun kann. Dieses Schreibtief hat mir aber auch gezeigt, dass es noch ein Weg für mich sein wird, mit Selbstvertrauen zu schreiben und ich dabei über den ein oder anderen Glaubenssatz stolpern werde. Und ganz praktisch muss ich meine Workflows und Schreibzeiten unbedingt besser organisieren. Also keine Sorge, es geht weiter auf Federschrift und ich teile mit dir, was ich auf dieser Reise lernen werde.
Lesejournal für gelesene Bücher
In diesem Jahr habe ich so gut wie alles gelesen (Onleihe und Blinkist sei Dank) – außer Romane. Um mit den Inhalten zu arbeiten und die Übungen umsetzen, habe ich ein Lesejournal begonnen. Es ist mein digitales Notizbuch in das ich Zitate, Zusammenfassungen, eigene Ideen und Gedanken zu den Übungen schreibe.
Die Fülle an Themen in meinem Bücherregal setzt mich aber auch unter Druck. Für mich sind all die ungelesenen Sach- und Fachbücher unerledigte Themen. Worüber ich nicht alles etwas lesen wollte, weil ich mir irgendwas davon versprochen habe. Dass ich danach endlich dieses oder jenes kann…. Ich bin also jedes Buch durchgegangen und habe mich von den „Eigentlich wollte ich…“-Themen und Büchern befreit. Das hat sehr gut getan!
Und weil es für mich in diesem Jahr keine Papier-Geschichten gab, in die ich eintauchen konnte, gab es stattdessen zwei Serien, die mich in diesem Jahr beeindruckt und noch lange beschäftigt haben: Chernobyl und The Handmaid’s Tale. Den Roman Handmaid’s Tale von Margaret Atwood (deutscher Titel: Der Report der Magd) kannte ich noch aus dem Englisch-Leistungskurs. Es war ein typischer Fall von: richtiges Buch zur falschen Zeit. Heute würde ich es gerne nochmal lesen, vor allem die Fortsetzung.
Der Sommer in Frankfurt
Trotz der Gluthitze war es ein toller Sommer in Frankfurt, in dem ich mich besonders auf die luftigen Fahrten mit meiner Vespa gefreut habe. Im Juni war ich auf einer wunderschönen Hochzeit und habe mich im Gästebuch des Brautpaares mit Blackout Poetry verewigt (was übrigens bis heute der beliebteste Artikel auf Federschrift ist). Als der Sommer fast vorbei war, habe ich die Zusage für einen kleinen Garten hinter dem Haus bekommen. Wir haben in diesem Jahr noch ein süßes Gartenhäuschen aufgebaut. Im Frühjahr pflanzen wir Sträucher, Kräuter und Gemüse.
Was hat mich sonst noch beschäftigt?
In den letzten Jahren habe ich immer wieder phasenweise auf Zucker verzichtet. Obwohl es mir unglaublich gut tut, fällt es mir schwer, dabeizubleiben. Mir hilft es, darüber zu schreiben und zurzeit erforsche ich noch, was wirklich bei mir dahintersteckt. Als ich mich tiefer mit gesunder Ernährung beschäftigt habe, habe ich Clean Eating wiederentdeckt.
Es ist mir das erste Mal vor zehn Jahren begegnet, interessanterweise in einem Buch von Julia Cameron, in dem es darum geht, sein Essverhalten zu verbessern, indem man darüber schreibt. Clean Eating ist nichts anderes als eine natürliche Ernährung ohne Zusatzstoffe und Konservierungsmittel, Zucker, Alkohol und Weißmehl. Positiv gesagt: viel frisches Gemüse kombiniert mit Eiweiß und komplexen Kohlenhydraten, frisches Obst und gesunde Fette.
Einige Bücher, Blogs und Kochbücher später bin ich bei Ayurveda gelandet und habe mehrere Wochen lang eine Entgiftungs-Kur gemacht. Seitdem kombiniere ich genau das aus beiden Ernährungsformen, was mir gut tut und in meinen Alltag passt. Es wird immer ein Prozess bleiben und mir an manchen Tagen besser gelingen als an anderen – genauso wie mit meinen Yogaübungen und dem regelmäßigen Schreiben.
Im Herbst war ich im Urlaub an der wunderschönen italienischen Blumenriviera und der Côte d’Azur. Am meisten habe ich mich auf Nizza gefreut. Doch die schönsten Momente waren auf Portofino und im ligurischen Hinterland, als wir eine Ölmühle besucht haben und mit so vielen Flaschen Olivenöl, wie wir tragen konnten, wieder raus sind. Das überraschendste an der Reise war eine Urlaubsbekanntschaft aus der nun eine kleine Postkartenfreundschaft geworden ist.
Die weiteren freien Tage habe ich dafür genutzt, um meinen Kleiderschrank auszumisten und neu zu sortieren. Dabei habe ich meine erste Capsule Wardrobe für den Herbst/Winter erstellt und was soll ich sagen: Ich bin seit langem richtig zufrieden damit und habe nicht mehr das Gefühl, mir etwas Neues kaufen zu müssen. Endlich ist alles überschaubar und lässt sich perfekt untereinander kombinieren.
Ausblick auf 2020: So geht es weiter…
Ich weiß, dass ich nicht alle Ziele für dieses Jahr erreicht habe, doch darum geht es gar nicht. Ich bin auf dem Weg und mag die Umwege. Für 2020 nehme ich mir vor:
Mehr Regelmäßigkeit in allem, was ich tue (Clean Eating, schreiben, Yoga…)!
Ich möchte produktiver sein und Workflows für das Schreiben und Federschrift entwickeln, damit ich meinen Redaktionsplan besser einhalte, wieder regelmäßig blogge, Inspirationsletter verschicke und Instagram nicht länger vor mir herschiebe.
Ich träume schon lange von einem Projekt, bei dem ich eigene Fotografien und Geschichten miteinander verbinde. Im nächsten Jahr würde ich gerne wieder mehr fotografieren und an verschiedenen Storyformaten schreiben.
Mein Kurzgeschichten-Band existiert bisher nur in meinem Kopf. Ich möchte weiter daran schreiben und ihn nächstes Jahr fertigstellen.
Ein Ziel, das es schon letztes Jahr gab: Schreib-Workshops geben und daraus einen E-Mail- und/oder Online-Kurse entwickeln.
Mein Wissen und die Erfahrung aus der Schreibberater-Weiterbildung auf Federschrift einbringen.
Da das Nachdenken auf dem Papier immer wichtiger für mich wird, kann ich mir gut vorstellen, das Thema Journaling und Schreibimpulse stärker auf Federschrift einzubringen.
Ich danke allen, die mir bis hierhin auf Federschrift gefolgt sind und hoffentlich weiter mit dabei sein werden. Ganz besonders freue ich mich über die E-Mail-Kontakte, die sich daraus entwickelt haben und dass so manchem meine Schreibpause aufgefallen ist.
Ich schreibe weiter – ich hoffe, du auch!
Was sind deine (Schreib-)Ziele für das neue Jahr? Schreib es mir gerne in die Kommentare.
Der letzte Satz ist gelesen. Die Figuren treten von der Bühne ab. Es ist der Moment, in dem Leser*innen das Buch schließen und Abschied nehmen. Hier entscheidet sich, mit welchem Gefühl sie die Geschichte zurücklässt. Wie dir ein Ende gelingt, das Leser*innen begeistert und auf welche Weise du Geschichten beendest, liest du hier.
Mit dem Ende steht und fällt, wie Leser*innen deine Geschichte in Erinnerung behalten. Ein guter Anfang ist wichtig, um die Leser in die Geschichte zu ziehen, so ist ein gutes Ende genauso wichtig, doch oft entscheidender über den Erfolg einer Geschichte. Am meisten bleibt uns das Ende in Erinnerung: Das gelungene und das, dass irgendwie nicht zufriedenstellend war.
Was macht ein gutes Ende aus?
Das Ende einer Geschichte ist die logische Folge aus der vorangegangenen Handlung. Der Schluss führt alles zusammen: Lose Handlungsstränge, Antworten auf offene Fragen, er löst den Hauptkonflikt und zeigt, ob die Figuren ihr Ziel erreicht haben und wie sie sich dadurch entwickelt haben. Die Kunst des letzten Satzes ist es, den richtigen Zeitpunkt zu treffen und nicht zu früh oder mit einem langatmigen Schluss enden.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für das Ende einer Geschichte?
Ein perfektes Ende kommt für den Leser überraschend und erscheint ihm dennoch genau richtig.
William Zinsser
Das perfekte Ende ist also eine Balance aus der Lesererwartung und der logischen Konsequenz aus dem, was zwischen Anfang und Ende steht. Um das zu erreichen, braucht es Übung und Gespür: Probiere verschiedene Enden aus und gehe nach deinem Gefühl, welche Variante am besten zur Geschichte passt.
Endet die Geschichte zu früh und zu abrupt, lässt sie den Leser mit einem unguten Gefühl zurück. Zieht sich das Ende zu lange hin, liefert eine erklärende Zusammenfassung, eine Moral oder sogar eine zufällige Auflösung (die sich nicht aus der Handlung oder den Figuren ergibt) wird sich der Leser für dumm verkauft fühlen und die Geschichte unglaubwürdig finden.
An bestimmte Genre ist meist auch eine bestimmte Erwartung geknüpft: In einem Liebesroman erwarten Leser*innen ein Happy End, bei einem Krimi, dass der Mörder und das Motiv enthüllt werden.
Einen tollen Tipp habe ich auf diesem Blog gelesen, er stammt von der Schriftstellerin Sharon Warner. Sie empfiehlt: Schreibe das Ende, bis sich fast eine neue Geschichte am Ende andeutet.
Falls du zu späten Enden neigst, gibt es auch hier einen Trick: Lies dir dein Ende durch bis zum vorletzten Absatz. Decke den letzten Absatz mit deiner Hand ab oder knicke das Papier um. Wie wirkt es? Könnte die Geschichte bereits hier enden – oder noch einen Absatz früher… oder noch früher? Dieselbe Probe geht auch umgekehrt: Fühlt sich dein Ende noch nicht ganz rund an und fehlt ihm etwas, dann schreibe noch einen Absatz und überprüfe die Wirkung.
Das Ende von Sätzen und Absätzen
Neben dem Schluss der Geschichte hat auch jedes Kapitel, jeder Absatz und jeder Satz ein Ende. In Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben widmet Roy Peter Clark ihnen ein eigenes Kapitel. Er zeigt, dass der letzte Satz oder nur das letzte Wort eines Kapitels bereits eine Andeutung des großen Finales am Ende beinhalten kann. Sobald das Ende deiner Geschichte feststeht, überprüfe die Enden deiner Kapitel.
Das letzte Wort
Das Ende mancher Geschichten ist auf ein letztes Wort hin konzipiert. Vladimir Nabokovs Roman Lolita beginnt und endet mit dem Schlüsselwort:
Ende: Und dies ist die einzige Unsterblichkeit, an der du und ich gemeinsam teilhaben dürfen, meine Lolita.
Verschiedene Arten von Enden
Für das Ende einer Geschichte gibt es unzählige Möglichkeiten. Ein gutes Hilfsmittel ist es, dir den Rahmen der Geschichte bewusst zu machen oder dich für einen zu entscheiden.
Roy Peter Clark beschreibt einige davon, zum Beispiel:
Der Zeitrahmen: Hier gibt das Ticken einer Uhr den Rahmen vor – zum Beispiel bleibt den Figuren nur noch wenig Zeit, um etwas zu tun oder zu finden. Hier endet die Geschichte, wenn die Zeit abgelaufen ist.
Der räumliche Rahmen: Der Beginn einer Reise oder einer Suche führt den Leser an verschiedene Orte bis er an seiner letzten Destination angekommen ist.
Den Kreis schließen: Bei einem Ringschluss beziehen sich Anfang und Ende aufeinander. Hat die Geschichte mit einer Reise begonnen, so endet sie mit einer Rückkehr: Das Ende führt zurück zum Ort des Anfangs. Der Schluss kann aber auch eine Erkenntnis oder Wiederholung eines prägnanten Satzes aus dem Anfang sein, der jetzt in einem anderen Licht erscheint.
Das lineare Ende
Bei diesem Ende fügen sich alle Handlungsstränge zusammen, es gibt keine offenen Fragen und keine Überraschungen. Ein Beispiel ist das Happy End.
Da ein solch runder Schluss unglaubwürdig wirken kann, beschreibt Fritz Gesing in seinem Klassiker Kreativ Schreiben Varianten wie den:
„offenen Schluss: Der Leser soll die Lösung finden, die in der Logik der Geschichte liegt.
ambivalenten Schluss, der weder glücklich noch unglücklich ist, aber auch nicht vage sein darf.“
Anfang und Ende schreiben
Wie du zum Ende deiner Geschichte findest, hängt von deiner Arbeitsweise ab. Manche haben das Ende bereits beim Schreiben im Kopf; andere beginnen zu schreiben, ohne zu wissen, wie ihre Geschichte endet. Beides ist möglich und ganz egal wie dein Schreibprozess aussieht: Sobald dein Entwurf geschrieben ist, solltest du dir Anfang und Ende nochmals gemeinsam anschauen.
Lege deinen Anfang und das Ende nebeneinander. Gibt es ein Motiv, einen Satz oder Ort aus dem Anfang, den du uns Ende aufnehmen kannst? Oder umgekehrt: Gibt es etwas in deinem Anfang, das du mit Blick auf das Ende umschreiben willst? Manchmal kann es sein, dass du das Ende bereits in deinem Text findest. Roy Peter Clark empfiehlt, sich den ersten Absatz durchzulesen und zu prüfen, ob sich dort nicht schon ein Ende versteckt.
Beispiele für letzte Sätze und Absätze
Um ein Gespür dafür zu bekommen, wie du das Ende einer Geschichte schreibst, ist es hilfreich, viele Enden zu lesen. Bei Romanen und Geschichten lohnt es sich, genau hinzuschauen und Schlüsselstellen wiederholt zu lesen – so fallen dir mehr Details auf, etwa, wie das Ende vorbereitet wird und welche Hinweise bereits am Anfang oder im Verlauf der Geschichte eingestreut sind.
Hier findest du sechs Beispiele aus der Literatur für ein Ende und letzte Sätze:
Mit einer Erkenntnis enden
Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass es dich gegeben hat. Und weil es dich gegeben hat, werden immer Spuren von dir da sein, die über die Erde wehen. Ich habe das an hundert verschiedenen Orten gedacht. Im Schnee. In einem dunklen Wald. Ich denke es jetzt. Ich denke es, da ich meinem Mann auf einem Pferd zu einer Hütte auf einer Lichtung folge, nach einem Tag in der Sonne. Sein Hemd ist am Rücken feucht und sein linker Arm nach hinten ausgestreckt, ich soll meine Hand in seine legen. Das tue ich. Seine Hand schließt sich um meine, drückt sie, und in dieser Geste denke ich an dich.
Susan Fletcher: Austernfischer
Den Titel des Romans auflösen
Noch bevor sie die ersten gebrochenen Worte ihrer Tochter vernahm, wusste sie, dass es zu spät war. Das Muster, nach dem sie gesucht hatte, war verschwunden. Schlimmer noch – es war nie da gewesen. Wie konnte es auch anders sein? Was sie sich erhofft hatte, war ein Hirngespinst, ein Traum, ein Ding der Unmöglichkeit: Wie der Regen, bevor er fällt.
Jonathan Coe, Der Regen, bevor er fällt
Mit einer Erinnerung enden
Sogar jetzt noch kann ich mir vorstellen, wie sie in ihrem purpurroten Sommerkleid und den hohen schwarzen Stiefeln durch die Zimmer des Pink Hotel stolziert. Manchmal, wenn ich blinzle, sehe ich immer noch wie sie mir von einer Tür aus zulächelt. Anna Stothard, Pink Hotel
Der Dialog / Die offene Frage
„Du hast meine Frage nicht beantwortet. Ich soll nach Hause kommen – und dann?“ Es klingt schrecklich, aber ich konnte ihr keine Antwort darauf geben, weil ich selbst keine hatte. Howard Jacobson, Liebesdienst
Abschied nehmen
Leila sah zu, wie der Brief langsam versank, und entfernte sich vom Kanal. Zurück ließ sie nur den Abdruck ihrer weißen Pumps in der Erde. Claire Gondor: Ein Kleid aus Tinte und Papier
Mit einer Vorausdeutung enden
Ich werde deine Hand nehmen, du wirst aufstehen, und dann, dann werden wir gehen.
Katharina Hartwell, Das Fremde Meer
Diesen Schluss finde ich besonders spannend: Die Zeitebene wechselt von Präsens in die Zukunft – wobei offen bleibt, ob es so eintreten wird oder nur eine Vorstellung des Erzählers ist.
Das perfekte Ende braucht Übung
Du siehst: Ein gutes Ende ist kein Zufall. Lies viel, schaue Filme und sieh dir die Konstruktion von Anfang und Ende genau an. Für das perfekte Ende braucht es womöglich ein paar Anläufe. Probiere verschiedene Enden aus und schreibe mehrere Versionen (und behalte zur Sicherheit alle davon) – bis du das Ende findest, das genau zu deiner Geschichte passt.
Quellen und weiterführende Literatur Clark, Roy Peter (2017): Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben. Handbuch für Autoren, Journalisten & Texter. Autorenhaus Verlag: Berlin Gesing, Fritz (1994): Kreativ Schreiben. Handwerk und Techniken des Erzählens. Dumont: Köln. Zinsser, William (2001): Schreiben wie ein Schriftsteller. Fach- und Sachbuch, Biografie, Reisebericht, Kritik, Business, Wissenschaft und Technik. Autorenhaus Verlag: Berlin.
Für einen ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Was im Leben gilt, gilt auch in Geschichten. Wenn der erste Satz nicht dafür sorgt, dass unsere Leser den zweiten Satz lesen wollen, haben wir sie verloren. Es gibt verschiedene Wege, um eine Geschichte zu beginnen und den Leser in die Geschichte zu ziehen.
Ein erster Satz ist ein Türöffner und muss ziemlich viel können: interessant soll er sein, spannend, den Ton der Geschichte anklingen lassen, Erwartungen wecken (die später auch eingelöst werden sollen), die Figur und die Handlung einführen. Einen guten Anfang zu schreiben, braucht Übung und entsteht selten im ersten Entwurf. Eine Formel oder ein allgemeingültiges Muster gibt es nicht. Inspiration für erste Sätze und Geschichtenanfänge finden wir daher in der Literatur.
Wie beginnt man eine Geschichte?
Ein guter Anfang gibt dem Leser ein Gefühl für die Geschichte, er lernt die Hauptfigur(en) und das Setting kennen. Aus dem ersten Satz oder Absatz lässt sich mindestens Folgendes ablesen:
Erzählperspektive
Zeitform
Hauptfigur
Darüber hinaus erfüllt der Beginn einer Geschichte weitere Funktionen:
Atmosphäre, Ort und Zeit beschreiben
Thema der Geschichte benennen
Konflikt andeuten
Erzählstimme anklingen lassen
Erwartungen wecken
Alles davon in den ersten Sätzen unterzubringen, würde sie überfrachten. Ein Anfang bewegt sich Satz für Satz in einem Wechselspiel aus Fragen und Antworten. Er gibt gerade so viele Informationen preis, wie im Moment für das Verständnis nötig sind und streut nach und nach weitere Informationen ein, ohne die zunächst Fragen beim Leser entstehen.
Der richtige Moment für den Einstieg
Wann ist der richtige Moment, um in die Geschichte einzusteigen? Das hängt davon ab, wie die Geschichte und ihr Ende konzipiert sind. Ebenso von der Textsorte: In einer Kurzgeschichte fällt die Einleitung eher knapp aus und startet in der Regel in medias res. Generell gilt, nicht zu früh und lieber etwas später in die Szene einzusteigen.
„Ab ovo“ (lateinisch „vom Ei an“)
Für den Zeitpunkt gibt es zum Beispiel diese Möglichkeiten:
Diese Erzählungen beginnen beim Ursprung. Sie starten beispielsweise mit der Vorgeschichte der Hauptfigur und erzählen ab da chronologisch.
„In medias res“ (lateinisch „mitten in die Sache hinein“)
Dieser Anfang fällt mit dem ersten Satz mit der Tür ins Haus. Die Geschichte beginnt mittendrin in einer spannenden Szene oder Handlung.
„In ultimas res“ (lateinisch „von den letzten Dingen an“)
In dieser Variante beginnt die Geschichte mit dem Ende – oder kurz davor. Danach setzt die Erzählung bei der vorangegangenen Handlung ein und zeichnet den Weg bis zum Ende nach und am Schluss schließt sich der Kreis.
Beispiele für Geschichtenanfänge
Ich habe mich durch die Leseproben verschiedenster Romane und Kurzgeschichten gelesen und die Satzanfänge in Kategorien unterteilt. Das ist übrigens mein Tipp an dich: Um ein Gespür für gute Anfänge zu bekommen, solltest du viele Anfänge lesen. Eine größere Auswahl als das heimische Bücherregal findest du in den Leseproben der Verlagsseiten oder Online-Shops.
Neun Wege, um Geschichten zu beginnen
1. Mit einem Dialog oder einer Frage
„Was hast du gesagt?“ „Ich habe gesagt, daß ich mit ihnen wegfahre. Es wird ihnen guttun, ein bißchen rauszukommen.“ „Und wann?“ Fragte meine Schwiegermutter. „Jetzt.“ „Jetzt? Das meinst du nicht im Ernst.“ „Und ob.“
Anna Gavalda: Ich habe sie geliebt
2. Mit der Beschreibung der Umgebung / des Settings
Die Kerzenflamme und ihr im Wandspiegel gefangenes Ebenbild flackerten kurz auf, als er den Flur betrat; und noch einmal, als er die Tür schloss.
Cormac McCarthy: All die schönen Pferde
Die Luft in ihrem Zimmer roch abgestanden nach Zigaretten und Parfüm.
Anna Stothard: Pink Hotel
3. Mit einer allgemeingültigen Wahrheit
Unser Zeitalter ist dem Wesen nach tragisch, daher weigern wir uns, es tragisch zu nehmen.
D.H. Lawrence: Lady Chatterly
Es ist seltsam, dass man durch den größten Lärm hindurch ein ganz leises Geräusch hört, wenn man darauf gewartet hat.
Peter Stamm, Die Erwartung
4. Mitten in der Handlung
Vom Büro bis zum OP-Saal waren es genau fünfzig Schritte.
Jessica Schulte am Hülse: Verrat. Sieben Verbrechen an der Liebe
Sie sah den Brief. Und sie fand ihre Gefühle nicht. Er war tot, so stand es da. Einmal quer über den Briefumschlag, in großen roten Buchstaben: Gefallen für Großdeutschland.
Anne Gesthuyen: Wir sind doch Schwestern
Ich bin gerade sechs geworden, als Olof Palme erschossen wird.
Jonas T. Bengtsson: Wie keiner sonst
5. Mit einer Vorausdeutung
Es wird immer wahrscheinlicher, dass ich tatsächliche jene Reise unternehme, die meine Fantasie bereits seit einigen Tagen mit einer gewissen Ausschließlichkeit beschäftigt.
Kazuo Ishiguro: Was vom Tage übrig bleibt
6. Mit einer Erinnerung
Immer wenn ich an Maria denke, fällt mir ein Abend ein, an dem sie für uns gekocht hatte.
Peter Stamm: Passion
7. Mit dem Motiv der Geschichte
Ich träume vom Wasser, bis heute.
Susan Fletcher: Austernfischer
Ich bin einer von denen, die atmen. Ich muss mit der Musik atmen, ihr und mir Luft zuführen, damit sie nicht erstickt und ich auch nicht. Nicht jedes Stück braucht viel Luft, aber manche bringen mich völlig außer Atem.
Katharina Mevissen: Ich kann dich hören
Erst war es nur ein Wort. Das Wort, flink und wendig, überfiel mich, wie alle diese sechzehnn Wörter, aus dem Hinterhalt. Nie hatte ich es bisher geschafft, mich zu wehren, stets zwangen sie mir aufs Neue ihre Botschaft auf; da ist noch eine andere Sprache, deine Muttersprache, glaube ja nicht, die Sprache, die du sprichst, wäre deine Sprache.
Nava Ebrahimi: Sechzehn Wörter
8. Mit einem erzählerischem Anfang
Vom Juli seines zweiten Jahres an der Universität bis zum Januar des folgenden Jahres dachte Tsukuru Tazaki an nichts anderes als an den Tod.
Haruki Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
9. Mit etwas Ungewöhnlichem
Drei Männer sind nötig, um die Leiche aus dem Wasser zu ziehen.
Der erste Satz einer Erzählung oder eines Romans kann nicht alle Funktionen der Exposition auf einmal erfüllen. Dafür sind die weiteren Sätze und Absätze da.
Ein Beispiel:
Nun starrt sie auf das Meer hinaus.
So lautet der erste Satz aus Amy Sackvilles Roman Reise nach Orkney. Für den Leser zeichnet sich damit das Bild einer Frau am Meer ab. Die Erzählweise wirkt ruhig, nachdenklich. Die Frage, wer sie ist, was sie dort tut und wer hier erzählt, beantworten die weiteren Sätze:
Meine junge Frau. Eingewickelt in die lange, grüne Jacke, steht sie auf dem kahlen Strand, im Scherbengeröll aus Kieseln und Krebsen. Sie starrt hinaus, während das Wasser zu ihren Füßen kriecht und sich wieder zurückzieht, und wenn der sanfte, unermüdliche Sog der Gezeiten nah genug ist, um an ihren Zehen zu nuckeln, weicht sie einen Schritt zurück. Bald wird vom Strand nicht mehr viel übrig sein als ein schmaler Streifen Sand, und sie wird auf die Steine ausweiten müssen; dann kommt sie vielleicht zurück zu mir.
Unterdessen beobachte ich vom Fester aus, wie sie aufs Meer hinausstarrt.
Wohin, frage ich, soll ich dich nach der Hochzeit entführen? „Ans Meer“, antwortete sie. „Würdest du bitte mit mir ans Meer fahren?“
In den ersten Sätzen erfahren wir, dass es um den Ich-Erzähler und seine „junge Frau“ geht, die sich auf Hochzeitsreise befinden. Der Ort wird nicht erwähnt, deutet sich aber bereits im Titel des Romans an. Dass die Frau jung ist, ist eine wichtige Information, da sich im Verlauf zeigt, dass sie einen deutlich älteren Mann geheiratet hat.
Interessant an der Einleitung ist die räumliche Distanz: Er beobachtet sie von drinnen und hofft, dass sie zu ihm zurückkommt. Damit deutet sich eine emotionale Distanz an. Ebenso die Wortwahl ‚entführen‘ klingt sehr vieldeutig. Die Naturbeschreibungen wirken kühl und die Ebbe kann als eine Vorausdeutung ihrer Beziehung verstanden werden.
In diesem Anfang steckt bereits so viel Potenzial, eine interessante Konstellation, offene Fragen und eine eigentümliche Atmosphäre, die Erwartungen weckt und den Leser einnimmt.
Den Anfang zum Schluss schreiben
Die Ansprüche an einen ersten Satz sind hoch und führen häufig dazu, dass wir wie erstarrt vor dem leeren Blatt sitzen. Beginne deine Text ganz ohne Druck und in dem Wissen, dass du den Anfang jederzeit ändern kannst.
Viele Autor*innen überarbeiten den Anfang am Schluss, wenn das Ende der Geschichte feststeht. Dann überarbeiten und straffen sie die ersten Sätze und sorgen für den sprachlichen Feinschliff, etwa die Reihenfolge der Wörter solange umzustellen oder nach einem anderen Wort zu suchen, bis der Satz sitzt.
Das ist aus zwei Gründen sinnvoll: Einmal, um Anfang und Ende aufeinander abzustimmen. Zum anderen, um den richtigen Zeitpunkt zu finden, wann die Erzählung einsetzt. Bis wir uns in eine Geschichte eingeschrieben haben, brauchen wir ein paar Zeilen. Prüfe deshalb, ob du die ersten Zeilen streichen kannst und so aus einem späteren Satz dein erster werden kann.
Jedes Kapitel ist ein neuer Anfang
Denk daran: Mit jedem neuen Kapitel in einer Erzählung oder in einem Romans schreibst du einen neuen Anfang. Hierfür gilt das gleiche, was für Seite eins gilt: Ein Satz soll zum nächsten führen. Achte darauf, dass du die Satzanfänge der einzelnen Kapitel variierst und sie nicht alle nach dem gleichen Schema beginnen. Wie du Kapitel abwechslungsreich beginnst, hat Melanie von Storyanalyse ausführlich beschrieben.
Zu jedem Anfang gehört ein Ende. Meist deutet es sich bereits in den ersten Zeilen an. Im nächsten Monat liest du hier im Federschrift-Magazin, wie du das Ende einer Geschichte schreibst.
Kürzestgeschichte, Miniatur, Skizze – Die literarische Gattung der Kurzprosa kennt viele Formen. Nicht immer erzählen sie Geschichten. Manche halten die Stimmung eines Augenblicks fest wie ein Schnappschuss – zufällig und bruchstückhaft. Kurze Texte sind ein Übungsfeld: Ihre Länge ist überschaubar und Schreiber*innen können Themen und verschiedene Stile ausprobieren. Was Kurzprosa von anderen Geschichten unterscheidet und wie du sie einübst, liest du hier.
Was sind Kürzestgeschichten?
Kürzestgeschichten sind so vielfältig, dass eine einheitliche Definition kaum zu finden ist. Oft werden sie in Abgrenzung zur Kurzgeschichte beschrieben: Sie sind komprimierter in Umfang und Handlung. Sie sind dichter geschrieben, vieles angedeutet und ausgespart. Ihre Länge reicht von zwei Zeilen bis drei Seiten.
In den USA heißen diese Geschichten übrigens Short Shortstory und Roberta Allen definiert sie so:
Die Kürzestgeschichte kommt schnell zum Kern der Sache und offenbart das Wesentliche einer Situation oder eines Augenblicks mit sehr wenigen Worten. Sie ist in sich geschlossenen und kann genauso viele Stimmungen ausdrücken und Formen annehmen wie die Kurzgeschichte. Sie kann ein Schnappschuss sein oder ein Einzelbild, aber in ihren engen Grenzen sind alle Freiheiten statthaft.
Roberta Allen
Kurzprosa zwischen Stimmung und Handlung
In der Kurzprosa lassen sich zwei Arten von Texten unterscheiden: Die, die von Stimmung getragen werden und die, die eine Geschichte erzählen. Was sie von längeren Geschichten unterscheidet, ist ihre Kürze. Platz, um die Figuren und die Handlung zu entwickeln, gibt es nicht.
Eine Geschichte ist ein Gefäß für eine Veränderung
Roberta Allen
Stattdessen gibt es in kurzen Geschichten eine Veränderung. Diese Veränderung kommt meist zum Schluss: mit einer Einsicht, einem Verstehen oder Entschluss oder einer überraschenden Wende.
Die wichtigsten Merkmale einer Kürzestgeschichte
Die Kurzgeschichte und die Kürzestgeschichte haben nach Roberta Allen einige Elemente gemeinsam, wie Figuren, Schauplatz, Erzähler, Situation, Stil und Ton. In der Kürzestgeschichte nehmen sie jedoch eine andere Funktion ein. Meist stehen nur ein oder wenige Elemente im Vordergrund.
Die Kürzestgeschichte lebt von der Kürze, einer Intensität, Stimmung und vom Augenblick. Für den Aufbau bedeutet das:
Anfang, Mitte und Schluss wird durch den Augenblick ersetzt.
Roberta Allen
Mit wenigen Worten viel sagen – das gelingt mit einer bildreichen, metaphorischen Sprache und einer Überarbeitung, bei der du jedes Wort prüfst und dich fragst: Ist es notwendig und steht es an der richtigen Stelle?
Material und Ideen für Kürzestgeschichten
Doch gehen wir zurück zum Anfang. Ideen für kurze Geschichten findest du in Bildern, unterwegs oder in Schreibmethoden, die Material aus einem Unterbewusstsein aktivieren.
Inspiration in Bildern finden
Um den Einstieg in stimmungsvolle Texte zu finden, eignet sich ein Bild oder eine Postkarte. Nimm die Stimmung auf, während du es betrachtest, und lass dich beim Schreiben von ihr treiben. Du musst nicht das aufschreiben, was im Bild zu sehen ist. Schlüpf in die Rolle eines Beobachters: Was fällt dir auf, wie wirkt die Umgebung, was sagt der Blick der Personen, wie stehen sie zueinander, was steht zwischen ihnen? Fällt es dir schwer, dich von dem Bild zu lösen, gibt es einen Trick: Beschreibe, was nicht im Bild zu sehen ist.
Wie ein Flaneur: Geschichten an belebten Orten finden
Eine andere Möglichkeit, um zu Stimmungstexten inspiriert zu werden, sind öffentliche Plätze in der Stadt, der Fußgängerzonen oder draußen im Straßencafé. So wandelst du auf den Spuren des Flaneurs, einem literarischen Erzähler und Beobachter, der sich durch die Massen der Großstadt treiben lässt, ziellos herumflaniert und seine Gedanken schweifen lässt.
Assoziativ schreiben mit dem Cluster
Das Cluster ist eine der Standardtechniken des Kreativen Schreiben und befördert Geschichten aus dem Unterbewusstsein zutage. Die Methode von Gabriele Rico eignet sich besonders gut für Kurzprosa.
So funktioniert das Cluster:
Schreibe ein Wort in die Mitte deines Blatts und umkreise es.
Starte von dort eine Assoziationskette: Schreibe dich von einem Wort zum anderen, umkreise es jeweils wieder und verbinde die Wörter mit einer Linie.
Fällt dir nichts mehr ein, zeichnest du den nächsten Ast vom Hauptwort aus ein und beginnst die nächste Assoziationskette.
Lass dich von einem Wort zum anderen tragen. Kommt du nicht mehr weiter, zeichnest du einen neuen Ast ein.
Clustere so lange weiter, bis du eine Idee für einen Text bekommst. Dann beginnst du zu schreiben und flechtest so viele oder wenige Wörter aus dem Cluster in den Text ein, wie du möchtest.
Kurzprosa schreiben mit Schreibimpulsen
Schreibimpulse, auch Writing Prompts, helfen dabei, mit dem Schreiben anzufangen, wenn du einmal keine Idee hast. Sie geben ein Thema oder einen Satz vor, an den du sofort anknüpfen kannst.
Ein Prompt aus Roberta Allens Ratgeber ist:
Schreib eine Geschichte über … eine Lüge.
Stell den Timer auf fünf Minuten und schreib sofort los, um das Unterbewusstsein zu aktivieren.
Writing Prompts sind vor allem im englischsprachigen Raum auf Blogs und in Büchern zu finden. Eigene Schreibimpulse entwickelst du, indem du eine zufällige Seite in einem Buch aufschlägst. Wähle ein oder mehrere Wörter aus und erstelle ein Cluster oder schreibe direkt drauflos.
Quellen und weiterführende Literatur:
Allen, Roberta (2018): Short Shortstorys schreiben. Mit der Fünf-Minuten-Methode Kürzestgeschichten schreiben und Romane entwickeln. Berlin: Autorenhaus Verlag.
Rico, Gabriele (1984): Garantiert schreiben lernen. Sprachliche Kreativität methodisch entwickeln – ein Intensivkurs auf der Grundlage der modernen Gehirnforschung. Reinbek: Rowohlt.
Wittke, Eleonore (2022): Gut und kurz: So will ich schreiben. Anekdoten, Impressionen, Skizzen. Wege zu kreativen Texten. Norderstedt: BoD. | textwerkstatt-wittke.de
Als Schreibpädagogin zeige ich dir, wie du die Kraft des Schreibens nutzt, um dich selbst Seite für Seite zu entdecken und besser zu verstehen. Auf Stille Seiten findest du Schreibimpulse und Reflexionsfragen für dein Tagebuch, deine persönlichen Texte oder deine Journaling-Routine.